Der Wandel des Boris Rhein

von Redaktion

Machtwechsel in Hessen: Der designierte Ministerpräsident hat sich neu erfunden

Wiesbaden – Der Ausdruck ist überstrapaziert, aber in diesem Fall passt er tatsächlich. Mit dem Rücktritt von Volker Bouffier (70) vom Amt des Ministerpräsidenten endet in Hessen eine politische Ära, sogar im doppelten Sinn. Fast zwölf Jahre lang saß der Jurist und langjährige Innenminister aus Gießen in der Wiesbadener Staatskanzlei, seit August 2010 bestimmte er die Geschicke des Landes, zuletzt als dienstältester Ministerpräsident der Republik. Heute soll nun sein Nachfolger gewählt werden.

Es ist Boris Rheins zweiter Anlauf für ein politisches Spitzenamt. Und diesmal sieht es so aus, als würde er es in die hessische Staatskanzlei schaffen. Zehn Jahre sind seit der verlorenen Frankfurter Oberbürgermeisterwahl vergangen. Der konservative Jurist hatte ganz auf das Feld innere Sicherheit gesetzt und war krachend gescheitert. Er hat aus seinen Fehlern gelernt. Law-and-Order war gestern. Der Rhein von heute hat die großen und auch die sozialen Themen für sich entdeckt, gibt sich als zugewandter Politiker aller Hessen. Bei den Opfern des rassistischen Attentats in Hanau etwa hat der Frankfurter einen ausgesprochen guten Ruf – im Gegensatz zu einigen anderen CDU-Kabinettskollegen.

Der Lohn für die wundersame Wandlung soll nun die Wahl zum Nachfolger von Ministerpräsident Volker Bouffier sein. Dann gilt es, sich schleunigst in allen Ecken des Landes bekannt zu machen. Für den Herbst 2023 ist die Landtagswahl terminiert. Der Amtsbonus soll helfen, die seit 1999 währende CDU-Herrschaft fortzusetzen. Auch den hessischen CDU-Vorsitz soll er von Bouffier übernehmen. Dessen Stern war zuletzt etwas gesunken: Der Hesse hatte als Strippenzieher entscheidend dazu beigetragen, dass Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten erkoren wurde – gegen den Willen der Basis.

Nun also Boris Rhein. So mancher hatte den zweifachen Vater nach der verlorenen Oberbürgermeisterwahl schon auf dem politischen Abstellgleis gewähnt. 2014 musste er das Innenministerium an Parteifreund Peter Beuth abgeben, bekam ersatzweise das Ressort Wissenschaft und Kunst. Profilierungsmöglichkeiten bieten sich dort eher weniger. Doch die Chance, das Image des harten Hunds abzustreifen. Vier Jahre später war auch dieses Intermezzo beendet. Das Ressort fiel an die aus der Landtagswahl gestärkten Koalitionspartner von den Grünen. Ein anderes Ministerium wurde nicht frei – Rhein machte weiter als Landtagspräsident. Und erwarb sich parteiübergreifend Respekt.

Etwa mit seiner Rede kurz nach den rassistisch motivierten Morden von Hanau. Darin bekannte der 50-Jährige sich zu einer multikulturellen Gesellschaft. Es gebe keine Abstufungen im Deutschsein, sondern einzig zwischen Demokraten und Nichtdemokraten. Jeder Mensch mit Migrationsbiografie könne „ein Bündel an Geschichten von Alltagsrassismus erzählen“. Gebraucht werde „eine Kultur des Klaren und des lauten Widerspruchs“ gegen all jene, die die Gesellschaft spalten wollten. In der Gesellschaft dürfe „kein Platz sein für Hass, Hetze und Rassismus“, warnte er erst im Februar wieder beim Jahrestag des rechten Terrors.

Ganz präsidial gehörte der 50-Jährige zu den Ersten, die per Pressemitteilung der Frankfurter Eintracht zum Sieg der UEFA Europa League gratulierte. „Überragend“ sei das gewesen, ließ der designierte Ministerpräsident wissen. Ganz Hessen habe mitgefiebert. „Eine tolle Leistung, Respekt!“ JUTTA RIPPEGATHER

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