Büssel – Die Pläne für ein vollständiges europäisches Öl-Embargo gegen Russland sind wegen einer Blockade aus Ungarn vorerst vom Tisch. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel zeichnete sich am Montagabend ab, dass die 27 EU-Staaten – wenn überhaupt – nur ein eingeschränktes Verbot von russischen Öl-Importen beschließen. Demnach würden nur Lieferungen über den Seeweg unterbunden. Diesen Kompromiss schlug die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen angesichts der bisherigen Blockade aus Budapest kurz vor dem Gipfel vor.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu den jüngsten Entwicklungen: „Alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte“. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich optimistisch, dass nach wochenlangem Streit ein Deal gelingt. Und auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell äußerte sich vor dem Gipfel optimistisch.
Weniger zuversichtlich gab sich dagegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu erkennen. Es sei wichtig, dass ein Embargo niemanden in der EU unfair belaste, sagte sie vor dem zweitägigen Treffen. „Und genau diese Frage haben wir noch nicht gelöst.“
In dem Entwurf für die Gipfelerklärung hieß es: „Der Europäische Rat ist sich einig, dass das sechste Paket mit Sanktionen gegen Russland Erdöl sowie Erdölerzeugnisse, die aus Russland in die Mitgliedstaaten geliefert werden, abdecken wird – mit einer vorübergehenden Ausnahme für Erdöl, das per Pipeline geliefert wird.“
So könnte sich Ungarn weiter über die riesige Druschba-Pipeline mit Öl aus Russland versorgen. Über die Pipeline Druschba (deutsch: Freundschaft) wird bis heute Öl aus Russland in Raffinerien in Ungarn, der Slowakei und in Tschechien sowie in Polen und Ostdeutschland geliefert. Deutschland und Polen haben allerdings bereits klargestellt, dass sie ohnehin bis Ende dieses Jahres unabhängig von russischen Öllieferungen werden wollen. Vorher sollte das Öl-Embargo nicht vollständig in Kraft sein.
Ungarns Regierungschef Viktor Orban bezeichnete den Vorschlag gestern als einen guten Ansatz – stellte zugleich jedoch Forderungen. Es brauche Garantien für den Fall, dass etwa wegen eines Unfalls kein Pipeline-Öl mehr in das mitteleuropäische Land geliefert werden könne, so der rechtsnationale Politiker.
Außerdem hatte Ungarn zuletzt Finanzzusagen für den Umbau seiner Öl-Infrastruktur gefordert. Die Kosten für die notwendige Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl bezifferte Budapest zuletzt auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssen 200 Millionen Euro investiert werden, um das Land künftig über eine an der Adriaküste beginnende Pipeline zu versorgen.
Orban kritisierte ebenso wie Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, dass die EU-Kommission nicht mit den Gesprächspartnern verhandelt habe.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte Unverständnis über das zögerliche Vorgehen der EU beim neuen Sanktionspaket. „Warum kann Russland mit dem Verkauf von Energie immer noch fast eine Milliarde Euro pro Tag verdienen?“, fragte Selenskyj, der per Video beim EU-Sondergipfel zugeschaltet war.