München – Regierungserklärungen werden stets in samtblauen Mappen mit aufgeprägtem Staatswappen zum Rednerpult des Landtags getragen. Hubert Aiwanger hat kein Wappen, keine Mappe, wofür auch, er hat ja kein Manuskript, noch nicht mal einen klitzekleinen Schmierzettel. Der Vizeministerpräsident tritt in freier Rede zu seiner lang erwarteten, wichtigen Regierungserklärung an.
Das kann jetzt gut gehen. Muss aber nicht.
Fast eine Stunde lang erklärt Aiwanger dem Parlament Bayerns künftige Energiepolitik: komplex, hoch brisant spätestens seit dem Krieg um die Ukraine. Aiwanger umreißt grob das Bekannte, auf das seine Freien Wähler und die CSU sich geeinigt haben. Gasspeicher auffüllen, Öl-Bedarf runterfahren, Kernkraftwerke länger laufen lassen, Windkraft-Abstandsregeln ab Pfingsten vorsichtig lockern, Solarenergie deutlich verstärken, dazu Biomasse, Wasserkraft und neue Wasserstoff-Leitungen.
Vorteil des Frei-Redners Aiwanger: Er nudelt das nicht so gelangweilt herunter wie mancher Kollege, er packt es spontan in bunte Worte. Zur längeren AKW-Laufzeit sagt er, man könne ja „das Ding auch stecken lassen“, wenn die Gasspeicher schneller gefüllt würden und der Winter mild werde. Über die Grünen spottet er, bei Debatten über Fracking-Gas, „da hätten Sie sich früher auf die Straßen geklebt“. Das überdeckt, dass der Energieminister inhaltlich kaum Neues sagt, ab und zu sogar unkonzentriert wirkt, sich wiederholt.
Deutlich wird bei Aiwangers Auftritt auch: Das Konzept steht auf wackeligen Beinen. Ein sofortiger Gas-Importstopp hätte massive Verwerfungen zur Folge, der Minister spricht von einer halben Million Arbeitsplätzen auf der Kippe. Bayerns Gasspeicher sind nur zu 37 Prozent gefüllt, deutlich weniger als der Bundesschnitt; das Problem ist der größte, zu spät gefüllte Speicher im österreichischen Haidach. Ob neue Windräder wirklich entstehen, hängt an Investoren. Und beim Thema Kernenergie gibt es Dissens, sogar in Bayerns Regierung.
Aiwanger spricht von einer Laufzeitverlängerung „bis wenigstens Frühjahr 2023“. Als später für die CSU die ehemalige Ministerin Kerstin Schreyer ans Pult tritt, verlangt sie „drei oder fünf Jahre mehr, anders wird es nicht gehen“. Nebenbei spendet sie dem „lieben Hubert“ den Rat, die Planung von Windrädern und Leitungen spürbar zu beschleunigen. Eh fällt auf, dass die CSU-Abgeordneten bei Aiwanger schleppend klatschen – hinter den Kulissen gibt es Spannungen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist am Dienstagnachmittag sogar ganz verhindert, Parteitermin in Rotterdam.
Der Streit mit der Opposition hingegen ist erwartbar, wobei verwischt, wer genau Opposition ist. Die Hälfte der Zeit arbeitet sich Aiwanger an der Bundesregierung im fernen Berlin ab. Hilfsweise wendet er sich dazu an die Grünen im Landtag. Deren Fraktionschef Ludwig Hartmann kontert staatstragender, diese Regierungserklärung sei „ein reines Wunschkonzert an die Bundesregierung“. Was die Staatsregierung für die Energiewende beitragen wolle, sei nicht deutlich geworden. „Wir brauchen dringend ein Machen und Anpacken, nicht ein Verantwortung-Verschieben und Aussitzen“, ruft Hartmann dem FW-Chef zu.
Für die SPD sagt Fraktionschef Florian von Brunn, nach dieser Regierungserklärung sei klar: „Vorankommen geht nicht mit diesem Energieminister.“ Auch Martin Hagen (FDP) greift Aiwanger persönlich an: „Sie haben sich die letzten Jahre ausgeruht.“ Das sei zu wenig. Einen solchen Minister könne sich Bayern nicht leisten.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER