Während der Krieg in der Ukraine mittlerweile seit über drei Monaten tobt, zeichnet sich keine diplomatische Lösung ab. Auch Friedensforscher Harald Müller hält einen schnellen Frieden für unrealistisch. Müller ist Professor emeritus für internationale Beziehungen der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Er leitete bis 2015 die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und erhielt jüngst das Bundesverdienstkreuz.
Putins Krieg in der Ukraine wird immer mehr zum Abnutzungskrieg. Sind die beteiligten Staaten darauf vorbereitet?
Russland und die Ukraine rechnen inzwischen damit, dass der Konflikt länger dauern und härter wird. Ich sehe auf keiner der beiden Seiten den Willen nachzugeben, der notwendig wäre, um eine diplomatische Lösung zu finden. Moskau will weiter den Sieg, Kiew will dies weiter verhindern.
Sind diplomatische Initiativen aussichtsreich?
Diplomatische Initiativen haben derzeit keine Chance. Sie müssten ja auf irgendeine Resonanz rechnen, die bei den Kriegsparteien entsteht. Das sehe ich beim Aggressor in Moskau überhaupt nicht. Der Despot Wladimir Putin verfolgt nach wie vor weitreichende territoriale Ziele. Dementsprechend kann man keine Resonanz von den angegriffenen Ukrainerinnen und Ukrainern erwarten, die sich ja nur verteidigen. Solange dies so ist, sind diplomatische Initiativen mehr oder weniger ein Placebo oder PR für diejenigen, die sie unternehmen.
Mit der angestrebten Nato-Nord-Erweiterung verlieren Schweden und Finnland ihre Neutralität. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
Die Erweiterung ist unvermeidlich. Die Neutralität hat zur schwedischen DNA gehört. Finnland hat mit der Neutralität jahrzehntelang gut gelebt – auch während des Kalten Krieges. Dieses Vertrauen in Sicherheit durch Neutralität hat Putin ebenso zerstört wie die Aussichten, in naher Zukunft erfolgversprechende Abrüstungsgespräche zu führen. Dazu braucht es ein Minimum des Vertrauens in den Partner, mit dem man verhandelt und mit dem man sich dann auf Ergebnisse einlässt. Es hat während des Kalten Krieges lange gedauert, bis dieses Vertrauen aufgebaut war. Die ersten wirksamen Abrüstungsvereinbarungen wurden in den 60er-Jahren geschlossen. Da war der Kalte Krieg bereits fast 20 Jahre alt. Das wird auch jetzt wieder dauern. Es ist kaum zu erwarten, dass mit dem Trio Putin, Lawrow und Schoigu irgendjemand verhandeln will oder kann. Das müssen wir in Deutschland begreifen – auch ich, als Friedensforscher. Die ganzen Gedankengebäude, die wir mit gutem Grund aufgebaut haben, mit Entspannung und Vertrauensbildung, Abrüstung und Stabilität und vielem mehr, hat ein aggressiver Diktator zerschlagen. Mit dem lässt sich keine kooperative Sicherheit bauen.
Halten Sie es für möglich, dass sich nach dem Ende des Krieges die Beziehung zu Russland sowie einem rationalen Wladimir Putin wieder normalisiert?
Es ist zu früh, das zu sagen. Sie sagen, Putin sei rational. Das war Hitler in vieler Beziehung auch. Was nicht rational ist, ist die Zielsetzung, die bei beiden die gewaltsame territoriale Restauration eines verlorenen Reiches war und ist. Beide haben den Widerstand nicht einkalkuliert, die solche Ziele nach sich ziehen. Beide haben den Willen der anderen Seite in einer Reihe von Konflikten mit begrenzten Schritten getestet. Beide haben den Schluss gezogen, die Gegenseite ist nicht widerstandswillig. Sie haben sich geirrt. Diese Fehleinschätzungen waren durch den brennenden Wunsch motiviert, die eigenen Ziele zu erreichen. Um das zu erreichen, was sie wollten, trafen beide Diktatoren zweckrationale Entscheidungen. Aber ihre Ziele waren unbegrenzt. Deshalb ist Putin kein Partner. Das heißt nicht, dass man nicht irgendwann einen Frieden erreichen kann, wenn beide Seiten vom Krieg erschöpft sind.
Sie vergleichen Putin mit Hitler?
Ich vergleiche beide nicht in Bezug auf den Holocaust. Da sind Hitler und das Deutsche Reich eine Singularität und werden es bleiben. Aber in allem anderen vergleiche ich beide. In den weiträumigen offensiven Zielen, in der Tarnung durch Lügengespinste, in einer totalitären Propaganda im eigenen Land, im Umbau einer Demokratie in eine brutale Diktatur, in der skrupellosen Ermordung politischer Gegner und in einer brutalen, antihumanitären Kriegführung. Von Punkt zu Punkt ist Putin von Hitler nicht verschieden. Putin ist ein Wiedergänger Hitlers.
Interview: Andreas Schwarzkopf