Der Präsident wirbt für einen Pflichtdienst

von Redaktion

Mehrere Monate bei Bundeswehr oder in sozialen Einrichtungen – „Berlin öffnet die Augen“

Berlin – Der Bundespräsident äußert sich sehr vorsichtig. Er wünsche sich eine Debatte, sagt er, es würde vielleicht gut tun, könnte, wäre, womöglich. Die Sätze von Frank-Walter Steinmeier haben aber einen harten, präzisen Kern. In einem Interview wirbt das Staatsoberhaupt für eine Dienstpflicht von jungen Männern und Frauen, sozial oder militärisch.

„Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird, aber ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen“, sagte Steinmeier der „Bild am Sonntag“. Es müsse kein ganzes Jahr sein, aber eben ein „gewisser Zeitraum für den Dienst der Gesellschaft“. Geleistet werden solle das bei der Bundeswehr genauso wie bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder in Obdachlosenunterkünften. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein. Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“

Wenn sich der Bundespräsident Debatten „wünscht“, kann man davon ausgehen, dass sie geführt werden. Allerdings nicht nur in seinem Sinn. Als eine der Ersten meldet sich die neue Bundesfamilienministerin zu Wort. Lisa Paus (Grüne) sagt: „Ein sozialer Pflichtdienst würde einen Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Jugendlichen bedeuten.“ Die jungen Menschen hätten unter der Pandemie besonders gelitten und sich trotzdem solidarisch mit den Älteren gezeigt. Man solle ihnen „weiterhin die Freiheit zur eigenen Entscheidung lassen“.

Steinmeier meint mit seinem Vorstoß explizit nicht die Wiederbelebung der seit 1959 geltenden und 2011 eingemotteten Wehrpflicht. „Sie ist ausgesetzt worden, wir haben jetzt eine Bundeswehr mit ganz anderen Strukturen.“ Experten sagen, die Ausbildungsstrukturen der Truppe würden dazu längst nicht mehr passen.

Eingeführt wurde seither ein Bundesfreiwilligendienst. ein Jahr, derzeit gut 40 000 Teilnehmer; zudem gibt es ein Freiwilliges Soziales Jahr. Für eine Dienstpflicht hatte sich auch die frühere CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ausgesprochen.

Konsens in der Union ist das indes nicht. Bayerns Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) lässt gegenüber unserer Zeitung Skepsis durchscheinen. „Gemeinsinn in unserer Gesellschaft zu stärken, ist eine wichtige Aufgabe. Dies jedoch als Pflicht zu formulieren, halte ich nicht für zielführend.“ Scharf rät weiter zu einem freiwilligen Modell, wo sich jede(r) „nach seinen eigenen Wünschen, Talenten und Vorstellungen einbringen“ könne, gerade auch im Ehrenamt.

Einen ungewohnten Zuspruch erhält Steinmeier dafür aus dem Süden: Die Freien Wähler treten schon seit Jahren für einen sozialen Pflichtdienst ein, sie nennen das ein „Deutschlandjahr“. „Offenbar bedurfte es erst fundamentaler Krisenlagen, um der Berliner Politik die Augen zu öffnen“, sagt Fraktions-Manager Fabian Mehring. Er nennt Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Blaulicht-Organisationen, Ehrenamt und Sport als mögliche Einsatzgebiete. Das FW-Konzept sieht außerdem vor, dass der Einsatz gestückelt und in der Freizeit geleistet werden kann. C. DEUTSCHLÄNDER

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