Berlin – Wann fahren Sie nach Kiew, Herr Bundeskanzler? Unzählige Male hat Olaf Scholz diese Frage in den letzten Wochen in unterschiedlichen Varianten gehört. Und immer hat er schmallippig, manchmal sogar richtig schlecht gelaunt darauf reagiert. So ist es auch am Samstag, als ihn in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zum Abschluss seines Balkan-Besuchs eine Journalistin nach seinen Kiew-Plänen fragt. Anlass sind diesmal aktuelle Reisen der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Bundesminister Karl Lauterbach und Cem Özdemir in die Ukraine.
„Diese Reisen begrüße ich alle. Sie sind mir im Gegensatz zu Ihnen auch nicht überraschend bekannt geworden, sondern waren schon vorher klar“, antwortet der Kanzler. „Die ergeben auch alle Sinn, und das ist auch immer der Maßstab für jede Reise.“ Zu einer möglichen eigenen Reise sagt er wieder nichts.
Doch kurz nach seiner Landung in Berlin verbreitete dann die „Bild am Sonntag“ die Meldung, dass Scholz noch in diesem Monat nach Kiew reisen werde. Er plane die Reise gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi, berichtete die Zeitung unter Berufung auf französische und ukrainische Regierungskreise. Die Staatschef würden demnach noch vor dem G7-Gipfel am 26. Juni den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besuchen. Berlin wollte das bislang nicht kommentieren. Und aus Paris hieß es: „Nein, wir bestätigen diese Information nicht.“
Der Élyséepalast teilte mit, Macron stehe für einen Besuch in der Ukraine zwar zur Verfügung, konkrete Reisepläne und Daten gebe es aber noch nicht. Eine solche Reise könne vor, aber auch nach dem EU-Gipfel stattfinden. Der Zweck einer Reise von Macron werde darin bestehen, der Ukraine eine europäische Perspektive zu eröffnen oder diese in Gang zu setzen.
Erst am Wochenende war EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zum zweiten Mal zu Besuch in der ukrainischen Hauptstadt. Dort sprach sie auch mit Selenskyj über einen EU-Beitritt. Die Ukraine hofft darauf, dass sie beim Gipfeltreffen der europäischen Staatschefs am 23. und 24. Juni zum EU-Beitrittskandidaten erklärt wird.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat eine mögliche Ukraine-Reise von Scholz als „längst überfälliges Zeichen der Solidarität“ bezeichnet. „Ich hoffe, damit sind auch zwei weitere Botschaften verknüpft: die Unterstützung des EU-Kandidatenstatus und die Bereitschaft mit westlichen schweren Waffen zu helfen“, sagte Kiesewetter.
Selenskyj hatte Scholz bereits vor Wochen nach Kiew eingeladen. Doch das Thema war bei Scholz von Anfang an verkorkst. Die Stimmung der Staatschefs war angespannt, weil Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite ausgeladen wurde, als er quasi schon auf dem Weg war. Später ließ Scholz Außenministerin Annalena Baerbock den Vortritt und sagte anschließend: „Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge.“ Jetzt gibt es dieses „ganz konkrete Ding“ und es könnte zu einem historischen Ereignis werden: Voraussichtlich am kommenden Freitag, beim EU-Gipfel, dürfte sich entscheiden, ob die Ukraine Beitrittskandidat für die EU wird.