Innsbruck – Was haben sie sich alles über die Grenzen zugerufen. Als „Büffel“ und „Raubritter“ schmähten sich Tiroler und Bayern im Polit-Streit um die Maut, als „Blockierer“ und „Schikanierer“ beim Zoff um den Transit-Verkehr, und auch die Worte „Provinz-Posse“ und „Ego-Trip“ fielen. Man kann ohne Übertreibung sagen: Das Klima zwischen den Politikern ist vergiftet. Gibt’s jetzt einen Neuanfang?
Zumindest auf einer Seite wird das Personal neu geordnet. Am Montagmittag steht Regierungschef Günther Platter in Tirol vor einem Wald von Mikrofonen und kündigt seinen Rückzug an. „Nach 36 Jahren Spitzenpolitik ist es einmal genug“, sagt der 68-Jährige von der konservativen ÖVP. „Die vergangenen Monate haben mich nachdenklich gemacht.“ Platter berichtet von „Anfeindungen, Belästigungen, Morddrohungen“ gegen ihn und seine Familie vor allem in den Corona-Jahren. Ein wenig Bitterkeit mischt sich in seine Worte. „Ich möchte keinen Tag als Landeshauptmann missen. Aber auch den einen oder anderen Tag möchte ich kein zweites Mal erleben.“
Platter war – auch nach dem Ischgl-Fiasko 2020 – für keine strenge Corona-Linie, sprach sich mehrfach gegen Lockdowns aus, geriet dadurch teils in die Kritik. Insgesamt sinken die Werte für die Konservativen im ganzen Land. Er will nun den Weg für vorgezogene Neuwahlen am 25. September frei machen, dann zurücktreten und Wirtschaftsminister Anton Mattle (58) als Partei- und Regierungschef installieren.
Für das Verhältnis zu Bayern dürfte das eine Chance sein. Der Corona-Streit – er gipfelte darin, dass Deutschland Platter 2021 sogar die Durchfahrt mit der Dienstlimousine verweigerte – ist aktuell weniger brisant. Unter Mattle könnte es die Aussicht geben, den Krach um den Brenner-Transit neu zu besprechen. Da sind die Fronten verhärtet zwischen Platter, der seine Bevölkerung im Inntal vor Lärm und Abgasen schützen will, und den Bayern/Deutschen, die vor allem in der Blockabfertigung pure Schikane sehen. Stapelweise haben CSU-Politiker schon Protestbriefe geschrieben, sogar die EU um ein juristisches Einschreiten gegen Tirol gebeten – immer vergeblich.
Mattle sieht das inhaltlich nicht anders als Platter, die persönlichen Animositäten mit bayerischen Polit-Größen teilt er aber wohl nicht. Vielleicht hat nun ein Vorschlag eine Chance, den neulich Ministerpräsident Markus Söder wieder auftaute: die Maut auf der Strecke zum und durch das Inntal so zu erhöhen, dass mehr Lkw auf die Schienenstrecke durch die Schweiz gedrängt werden. Das unterstützen auch die Tiroler Grünen, bisher Koalitionspartner der ÖVP.
Mattle – hager, ruhig, dreifacher Vater und Elektroinstallations-Meister – sagt, er habe sich die Kandidatur gründlich überlegt. „Da kann man nit einfach mal so schnell Ja sagen.“ Die Bayern wollen nun bald Kontakt aufnehmen. „Natürlich werden wir versuchen, mit dem künftigen Landeshauptmann ins Gespräch zu kommen“, sagt Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Er mag Platter kein weiteres böses Wort mehr hinterherrufen, aber sagt über den Transit-Streit: „So, wie es momentan ist, geht’s nicht weiter.“ cd