„Null Tempo, null Visionen bei Wissing“

von Redaktion

INTERVIEW Bayerns Ministerin Gerlach kritisiert die Digitalpolitik der Bundesregierung scharf

Die Digitalpolitik des Bundes wird neu strukturiert. Das Kanzleramt soll die Führung einer Koordinationsrunde übernehmen. Wofür braucht es dann noch einen Digitalminister? Aus Bayern kommt scharfe Kritik der Digitalministerin Judith Gerlach (CSU).

Digitalminister Wissing muss die Digitalpolitik mit vier Ministerien und dem Kanzleramt koordinieren. Minister oder Marionette?

Deutschland hätte ein echtes, mächtiges Bundesdigitalministerium gebraucht: eine Stelle, die das Tempo der Veränderung vorgibt, alte Silos aufbricht, Digitalisierung voranbringt. Das hat die Ampel verschlafen. Digitales ist jetzt ein Anhängsel beim Verkehrsressort, und der Minister darf nichts entscheiden. Das ist schon sehr mager. Die Bundesregierung nimmt das Thema nicht ernst.

Digitalministerium ohne große Kompetenzen, und alles bestimmt der Chef selbst: Klingt vertraut – geht’s Ihnen denn anders?

Ja. In Bayern koordiniere ich das Thema, wir geben das Tempo und den Takt vor, liefern Ideen. Genau so kommen wir aus dem „Haben wir immer schon so gemacht“-Trott raus.

Was konkret macht Wissing nicht genug?

Im Bund kocht jeder planlos sein Süppchen, jeder macht seine Insellösungen, und das reicht einfach nicht. Die Verwaltung zu digitalisieren, liegt beim Innenministerium, die Cyber-Sicherheit irgendwo zwischen Innen und Wirtschaft. Nichts ist gebündelt, nirgends ist Tempo drin, null Visionen. Wissing selbst redet ja vor allem über Verkehrspolitik.

Das Recht auf schnelles Internet – unter 16 Jahren Union nicht umgesetzt – kommt immerhin.

Aber völlig ambitionslos mit 10 MBit. Das ist eigentlich heute schon zu langsam.

Hakt es bei der Cyber-Security? Sind wir anfällig durch das Kompetenz-Wirrwarr?

Ich fürchte ja. Viele kümmern sich, es gibt gute Institutionen. Aber da müsste der Bund viel stärker koordinieren. Es fehlt an breiterem Informationsaustausch und Vernetzung, wie Staat und Wirtschaft digitale Attacken am besten abwehren können. Cyber-Attacken werden Teil künftiger Kriege sein. Wir müssen den Hackern einen Schritt voraus sein, aber das wird nicht gelingen, wenn Verwaltung, Wissenschaft, Sicherheitsbehörden und Wirtschaft nur in ihren Silos denken. Ich bin gerade aus Israel zurückgekommen: Die machen das viel intelligenter, warnen schneller – und können effektiver abwehren. Eine Plattform dafür sollte auch der deutsche Staat zur Verfügung stellen. Das wäre dringender als irgendwelche Staatssekretärs-Koordinierungs-Gremien, die Herrn Wissing die letzten Zuständigkeiten nehmen.

Bayerns Gesundheitsämter sind im Corona-Jahr 3 noch nicht digitalisiert. Wenn es angeblich so gut strukturiert ist im Freistaat – woran hakt es dann?

Ich weiß, Sie erwähnen gleich das Faxgerät. Das hatte aber den Grund, dass es zu Beginn der Pandemie gesetzliche Vorgaben gab, Daten schriftlich zu übermitteln. Ich finde, wir haben in diesen Jahren große Fortschritte gemacht, etwa haben wir uns um die digitale Kontaktnachverfolgung gekümmert. Auch die von uns aufgestellte Impfplattform lief super mit dem Termin-Management für die Impfungen. Es ist also viel passiert, darauf kann man aufbauen.

Interview: C. Deutschländer

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