Schroffe Grüße aus Kiew

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Ein freundlicher Empfang klingt anders. Olaf Scholz hat seine Reise nach Kiew noch gar nicht angetreten, da wird er aus der ukrainischen Hauptstadt bereits wortreich begrüßt – und ziemlich schroff. Was Wolodymyr Selenskyj im Interview mit der „Zeit“ über den Bundeskanzler und die deutsche Politik sagt, hört sich eher nach strapazierter Geduld an als nach Vorfreude auf ein Treffen mit einem Regierungschef, von dem sich der Präsident sehnlichst mehr Hilfe erhofft.

Selenskyjs Appelle an Berlin, die Ukraine schneller und umfassender zu unterstützen, klingen dem Kanzler seit Wochen in den Ohren. Die Lieferungen aus Deutschland seien „immer noch geringer, als sie sein könnten“, sagt er nun. Man müsse „noch viel mehr gemeinsam tun, um diesen Krieg zu gewinnen“. Auf die Frage, ob er sich wünsche, dass auch Scholz die Formulierung verwende, die Ukraine müsse gewinnen, erwiderte Selenskyj: „Wie auch immer der Wortlaut ist, jeden Tag sterben dutzende von Menschen hier. Jeden Tag. Wie soll ich da ruhig bleiben?“ Sein Volk stelle sich einem Aggressor entgegen, der die Idee eines freien Lebens hasse. „Also sagt, was ihr wollt und wie ihr es wollt, aber helft uns. Bitte.“

Es hat sich viel aufgestaut vor diesem ersten persönlichen Treffen seit Kriegsbeginn. Während der Kanzler zunehmend dünnhäutig auf die wiederkehrenden Fragen nach einem Reisetermin reagierte, die für ihn zuweilen wie der Vorwurf unterlassener Hilfeleistung zu klingen schienen, fragt man sich in Kiew, was die Deutschen eigentlich aufhält. Und warum sie nicht einfach in dem Maße helfen, wie sie es aus ukrainischer Sicht könnten. Präsidentenberater Mychailo Podoljak listete zuletzt Rüstungsgüter auf, die die Armee benötige. Haubitzen, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge. „Um es direkt zu sagen – um diesen Krieg zu beenden, brauchen wir schwere Waffen“, schrieb Podoljak bei Twitter. Lediglich zehn Prozent der geforderten Waffen seien bisher angekommen, heißt es.

Obwohl die jüngsten Nachrichten aus dem Osten des Landes dramatisch klingen, glaubt Selenskyj, die russischen Truppen nicht nur aus dieser Region vertreiben zu können. Man könne „das Territorium befreien“, sagte er in seiner Videoansprache und schloss ausdrücklich Mariupol mit ein sowie die Krim. Voraussetzung auch diesmal: Waffen aus dem Westen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hofft, dass das Treffen zwischen Scholz und Selenskyj bei der Annäherung hilft. „Im unmittelbaren Gespräch“ könne man „möglicherweise zu einer etwas anderen Sichtweise auch in der Ukraine kommen“. Deutschland stehe „fest an der Seite“ Kiews.

Dass Russland im Vorfeld der Reise Gaslieferungen mit dubioser Begründung drosselt, dürfte kein Zufall sein. Im Juli wird die Pipeline Nord Stream 1 zehn Tage lang sogar überhaupt kein Gas liefern. Der Betreiber beruft sich auf „planungsmäßige Wartungsarbeiten“. Dieser Ausfall kommt aber weniger überraschend. Ähnliche Stilllegungen gab es schon in den vergangenen Jahren. mit dpa/ afp

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