Moskau/Berlin – Zweimal schrillt Luftalarm am Kriegstag 113 – gerade als Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Präsidenten von Frankreich, Italien und Rumänien im Präsidentenpalast in Kiew ist. Während sie mit Präsident Wolodymyr Selenskyj über weitere Waffenlieferungen und den EU-Beitritt der Ukraine verhandeln, erhöht Russland nicht nur aus der Luft den Druck auf Europa: Der russische Energiekonzern Gazprom dreht Schritt für Schritt den Gashahn immer weiter zu.
Gazprom hatte zunächst in der Nacht zum Donnerstag seine Lieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream weiter reduziert. Die Gasmenge erreichte gestern morgen – hochgerechnet auf 24 Stunden – in etwa die von Gazprom angekündigten 40 Prozent der technischen Kapazität. Der Konzern begründet das damit, dass wegen der vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen eine überholte Gasturbine von Kanada nicht zurückgeliefert werden könne.
Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt die Situation ernst. Doch die sichere Versorgung mit Gas sei weiter gewährleistet. „Aktuell können die Mengen am Markt beschafft werden, wenn auch zu hohen Preisen. Es wird aktuell noch eingespeichert“, so eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das Ministerium beobachte die Dinge aber sehr genau. Entgegen der fadenscheinigen Gazprom-Erklärung vermutet Habeck hinter der Gas-Kürzung eine politische Entscheidung.
Am Mittag legt der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow nach: Auch ein komplettes Runterfahren der wichtigsten Versorgungsleitung für Deutschland sei nicht ausgeschlossen. Beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg sagt er laut der russischen Zeitung „Kommersant“: „Ich denke, das wäre eine Katastrophe für Deutschland.“ Deutschland solle darüber nachdenken, die Turbinen lieber auf seinem eigenen Gebiet zu reparieren, damit sie nicht nach Kanada gebracht werden müssten, so der Diplomat mit unverhohlener Drohung. Wenig später kommt von Gazprom-Chef Alexej Miller der durchsichtige Vorschlag, doch die infolge des Kriegs stillgelegte Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. Theoretisch sei das möglich. Kritik am Vorgehen seines Unternehmens weist er brüsk zurück. „Unser Produkt, unsere Regeln“, sagt er. „Wir spielen nicht nach Regeln, die wir nicht gemacht haben.“
Unterdessen hat Gazprom auch seine Lieferungen nach Frankreich, Italien und Österreich heruntergefahren. Der italienische Energiekonzern Eni teilt mit, gestern seien nur 65 Prozent der angeforderten Menge geliefert worden. Lieferrückgänge melden auch das französische Unternehmen Engie sowie der österreichische Energieversorger OMV. Mit Blick auf die weitere Drosselung der Gas-Liefermenge wendet sich Habeck an die Bürger. Über Twitter ruft er zum Energiesparen auf: „Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Zugleich mahnt er zur Wachsamkeit: „Wir müssen konzentriert weiterarbeiten. Vor allem dürfen wir uns nicht spalten lassen. Denn das ist das, was Putin vorhat.“ cm/dpa