München – Es könnte ein Vorgeschmack auf das sein, was Deutschland im Herbst wieder bevorsteht. Mitten im Sommer lässt der neue Omikron-Subtyp BA.5 die Corona-Infektionen bundesweit wieder ansteigen. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstag mit 480 an. Ein markanter Sprung im Vergleich zu 319 in der Vorwoche. Am Freitagmorgen war der Wert allerdings wieder auf 427,8 zurückgefallen. Die Zahl schwankt auch deshalb von Wochentag zu Wochentag, da insbesondere am Wochenende immer mehr Bundesländer nicht ans RKI übermitteln und ihre Fälle im Wochenverlauf nachmelden.
Niemand weiß genau, was die kalte Jahreszeit bringt. Umso wichtiger wird es sein, dass dann die nötigen Zahlen zur Beurteilung der Lage verlässlich zur Verfügung stehen. In den vergangenen Jahren lief das nicht gut. Zwischenzeitlich herrschte ein regelrechtes Zahlenchaos. Auch, weil die Gesundheitsämter noch immer mit unterschiedlichen Systemen arbeiten – auch in Bayern.
Dabei hatten Bund und Länder im November 2020 beschlossen, die vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung entwickelte Digitalplattform Sormas flächendeckend auszurollen. Doch deutschlandweit nutzen bisher nur 110 der rund 400 Gesundheitsämter Sormas mit einer aktivierten Schnittstelle zur Meldesoftware SurvNet des RKI. Bayern nehme dabei mit 31 derart aufgestellten Ämtern bundesweit sogar noch eine Spitzenstellung ein, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Dazu kommen 15 weitere Ämter, die die Anwendung ohne aktivierte Schnittstelle zu SurvNet nutzen. Insgesamt arbeiten im Freistaat also 46 von 76 Ämtern mit Sormas. Das sind 61 Prozent. Seit vier Monaten stagniert der Wert – und das, obwohl die Anwendung seit Februar 2021 bei allen 76 bayerischen Gesundheitsämtern installiert ist.
Droht also im Herbst das nächste Chaos? Wie ein klares Nein klingt die Einschätzung von Ressortchef Klaus Holetschek (CSU) nicht. Er sieht die Schuld in Berlin. „Der Bund muss die Digitalisierung der Gesundheitsämter rechtzeitig für den Herbst vorantreiben“, sagt Holetschek unserer Zeitung. Es könne nicht sein, „dass es in Jahr drei der Pandemie immer noch keine einheitliche Schnittstelle gibt, um Infektionen zu melden“. Denn Holetscheks Ministerium zufolge besteht ein Grundproblem darin, „dass der Bund die erforderlichen Schnittstellen zur jeweiligen Meldesoftware – mit Ausnahme der Schnittstelle zur Meldesoftware SurvNet – noch nicht bereitgestellt hat“.
Das Haus von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stellt die Sache anders dar. Ein Sprecher betont gegenüber unserer Zeitung, dass die Verantwortung für die Ausstattung der Gesundheitsämter den Ländern und den Ämtern selbst obliege. Somit sei es an ihnen, „den Bedarf nach entsprechenden Schnittstellen klar gegenüber ihren vertraglichen IT-Dienstleistern“ zu kommunizieren und Anpassungen „aktiv einzufordern“. Die Bundesregierung könne „nur unterstützend agieren und möglichst niedrigschwellige Angebote zur Verfügung stellen“. In Berlin sieht man sich für dieses Problem also offensichtlich nicht zuständig.
SEBASTIAN HORSCH