EU-Kandidat mit Defiziten

von Redaktion

VON ANSGAR HAASE

Brüssel – Die Ukraine und ihr Nachbarland Moldau haben auf dem Weg zur angestrebten EU-Mitgliedschaft eine erste wichtige Hürde genommen. Die EU-Kommission sprach sich am Freitag dafür aus, die beiden Staaten offiziell zu Kandidaten für den Beitritt zu ernennen. Beitrittsverhandlungen sollen nach der Empfehlung der Behörde allerdings erst beginnen, wenn Reformauflagen umgesetzt wurden.

In beiden Ländern sieht die Kommission noch erhebliche Defizite – insbesondere im Justizwesen, in der Wirtschaftsstruktur und bei der Korruptionsbekämpfung. Der Aufnahmeprozess könnte sich deswegen Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte hinziehen. Dies gilt vor allem für die Ukraine, die seit dem 24. Februar einen Großteil ihrer Kräfte für die militärische Verteidigung gegen Truppen aus Russland benötigt.

Denkbar ist zudem, dass einer oder mehrere EU-Staaten die Vergabe des Kandidatenstatus blockieren. Die Entscheidung dafür muss einstimmig fallen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb deswegen mit eindringlichen Worten, ihre Empfehlung zu unterstützen. „Die Ukraine verdient eine europäische Perspektive“, sagte sie und verwies auf eine „robuste präsidial-parlamentarische Demokratie“ und eine gute öffentliche Verwaltung. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen das 40-Millionen-Einwohner-Land sagte sie: „Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben.“ Man wolle ihnen ermöglichen, gemeinsam den europäischen Traum zu leben.

Zu dem nur rund 2,6 Millionen Einwohner starken Moldau sagte von der Leyen, der Nachbar der Ukraine habe zuletzt mit einem klaren Mandat seiner Bürger einen entscheidenden Schritt in Richtung Reformen getan. Keine so guten Nachrichten hatte sie für Georgien. Das Land soll nach der Empfehlung ihrer Kommission erst den Kandidatenstatus bekommen, wenn es Auflagen erfüllt.

Mit ihren Empfehlungen legte die Behörde die Grundlage für einen möglichen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten. Die Staats- und Regierungschefs wollen bei einem Gipfeltreffen Ende kommender Woche beraten. Ob dabei schon eine Entscheidung getroffen werden kann, ist allerdings unklar, da die Ansichten der Regierungen bislang weit auseinandergehen.

So hielt insbesondere Portugal die Vergabe des Kandidatenstatus an Staaten wie die Ukraine bis zuletzt für nicht angebracht. Es sei ein großes Risiko, dass man falsche Erwartungen kreiere, sagte Ministerpräsident António Costa. Ein weiteres Argument von Skeptikern ist, dass die EU mit ihrem Prinzip der Einstimmigkeit schon jetzt als schwerfällig gilt. Sie mahnen zunächst interne Reformen an, ehe neuen Mitgliedern die Tür geöffnet wird. Die Niederlande gaben ihre Bedenken hingegen am Freitag auf.

Russland hat Aussagen von Kremlchef Putin zufolge grundsätzlich keine Einwände gegen einen EU-Beitritt der Ukraine. „Wir haben nichts dagegen. Es ist die souveräne Entscheidung jedes Landes, Wirtschaftsbündnissen beizutreten oder nicht beizutreten“, sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. „Die EU ist im Gegensatz zur Nato keine militärische Organisation, kein politischer Block.“ Ob eine Mitgliedschaft der Ukraine im Sinne der EU sei, müsse sie selbst wissen, meinte er.

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