Moskau/Kiew – Die russische Armee führt weiter schwere Angriffe im Osten der Ukraine. Russland wolle bis Sonntag die gesamte Region Luhansk einnehmen, sagte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Derzeit kontrollieren die russischen Truppen rund 95 Prozent der Gegend. „Es ist keine Übertreibung, entscheidende Kämpfe finden statt“, sagte Maljar im Fernsehen. Die ukrainischen Soldaten versuchten zu verhindern, eingekesselt zu werden.
Die ukrainischen Behörden räumten gestern den Verlust des Ortes Metjolkine südöstlich des Verwaltungszentrums Sjewjerodonezk im Osten des Landes ein. Russland hatte bereits am Sonntag die Eroberung gemeldet. Russische Soldaten sind gestern auch in die letzte ukrainische Bastion in Sjewjerodonezk, das Chemiewerk Azot, vorgedrungen. Dort werde bereits gekämpft, schrieb der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, am Montagabend in seinem Telegram-Kanal. Auch umliegende Ortschaften stünden unter ständigem Beschuss. „Es ist dort einfach nur die Hölle“, berichtete Hajdaj über die Kämpfe um das Chemiewerk. „Alles steht in Flammen, der Beschuss hört nicht einmal eine Stunde lang auf.“ Rund 300 Zivilisten haben sich dort mit einer unbekannten Zahl an Kämpfern verschanzt. Auch im südukrainischen Odessa gab es Explosionen.
Unterdessen beschuldigt der prorussische Krim-Chef Sergej Aksjonow die Ukraine, schwimmende Gasförderplattformen im Schwarzen Meer mit Raketen angegriffen zu haben. Dabei habe es Verletzte gegeben. Bislang seien 21 Menschen gerettet worden. Insgesamt hätten sich auf den Plattformen 109 Menschen aufgehalten.
Offen bleibt, wie es mit den Getreideexporten aus der Ukraine weitergeht. Die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen durch die russische Marine könnte nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gelöst werden. „Wir kommen voran und (…) ich bin mir sicher, dass die Vereinten Nationen am Ende eine Einigung erzielen werden“, meinte er. Er könne sich nicht vorstellen, dass es noch viel länger dauern werde. Wenn doch, werde Russland dafür verantwortlich sein. Die Blockade von Getreideexporten sei ein „echtes Kriegsverbrechen“.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist weniger optimistisch. Man führre „komplexe Verhandlungen auf mehreren Ebenen“, aber es gebe noch keine Fortschritte, sagte er in einer Videoansprache bei einem Treffen der Afrikanischen Union (AU) am Montag. Man habe noch kein wirkliches Instrument gefunden, um sicherzustellen, dass Russland die Häfen nicht erneut angreife. Russland nehme Afrika in dem Konflikt als Geisel. „Die weltweite Lebensmittel-Krise wird so lange dauern, wie dieser Kolonialkrieg andauert“, sagte Selenskyj. In den ukrainischen Häfen stecken Millionen Tonnen Getreide fest, die insbesondere für Afrika bestimmt sind. Wegen der Blockade durch die russische Flotte können sie nicht exportiert werden. Das UN-Welternährungsprogramm zählt aktuell 345 Millionen Menschen in 82 Ländern, die akut Hunger leiden. dpa