München/Berlin – Karl Lauterbach ist nicht leicht einzuschätzen: Mal kommt er als Dauermahner daher, mal als die Ruhe in Person. Aktuell hat der Gesundheitsminister seine gelassene Phase. Zu gelassen – wenn es nach den Ländern geht. Mit Blick auf eine mögliche Corona-Welle im Herbst drängen Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen den Bund, sich noch vor der Sommerpause auf die gesetzlichen Voraussetzungen für Corona-Maßnahmen zu einigen – denn vor allem mit der FDP gibt es noch Unstimmigkeiten. Lauterbach vertraut aber darauf, dass sich die Ampel-Parteien schnell auf einen Kurs verständigen werden.
„Das Drama, auf welches jetzt alle warten, wird ausbleiben“, sagt der SPD-Minister in der ARD. Am 30. Juni werde ein Sachverständigenrat ein Gutachten zu den bisherigen Corona-Maßnahmen vorlegen. „Ich glaube, wir werden einen guten Kommissionsbericht bekommen.“
Das aktuelle Infektionsschutzgesetz läuft bis zum 23. September. Lauterbach hat gestern Bund und Ländern eine neue „Corona-Herbststrategie“ präsentiert. Tenor: abwarten. Der Zugang zu den kostenlosen Corona-Bürgertests soll erst mal deutlich eingeschränkt werden, heißt es in dem Papier, das unserer Zeitung vorliegt. Nur noch Patienten mit Symptomen sollen dafür in Frage kommen sowie ausgewählte Gruppen wie Kleinkinder und Schwangere. Das kostenlose Angebotgilt bisher nur bis Ende Juni für alle Bürger.
Die Infektionszahlen waren zuletzt wieder gestiegen. Laut RKI lag die Sieben-Tage-Inzidenz gestern bei 458,5. Am Vortag hatte der Wert noch bei 416,0 gelegen. Für den Herbst befürchten Experten eine neue Corona-Welle. Der Fokus liegt dabei auf die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5: Sie sind deutlich ansteckender als die bisherigen Virus-Varianten und in Deutschland bereits auf dem Vormarsch. BA.5 macht bereits mehr als 24 Prozent der Neuinfektionen aus. Allerdings gebe es laut RKI keine Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe oder einen Anstieg der Todesfälle.
In Portugal etwa ist BA.5 schon seit einigen Wochen vorherrschend: In der ersten Juni-Woche machte der Anteil der Variante 85 Prozent des Infektionsgeschehens aus. Die Variante sorgte im Mai für einen starken Anstieg der Neuinfektionen. Doch seit Juni sinken die Fallzahlen offenbar auch wieder. Das portugiesische Gesundheitsministerium meldete noch vor einigen Tagen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1111 – die Rede ist von einem „landesweit rückläufigen Trend“. Anfang Juni lag der Wert noch über 2000.
Der Trend geht also steil abwärts. Das zeige sich auch bei der Zahl der Hospitalisierungen, heißt es in dem portugiesischen Lagebericht. Knapp unter 100 Intensivbetten waren demnach vor einer Woche belegt (minus neun Prozent im Vergleich zur Vorwoche) – ein kritischer Wert sei ab 255 erreicht. Auch bei den Corona-Todesraten beobachte man eine „Verlangsamung des Anstiegs“.
Es werden dennoch „dringend“ mehr Schutzmaßnahmen und Auffrischungsimpfungen empfohlen, appelliert das Gesundheitsministerium. Ganz auf die Erfahrungen Portugals kann sich Deutschland aber wohl nicht stützen – denn die Impfquote liegt dort mit 87 Prozent (doppelt geimpft) höher als in Deutschland (76 Prozent). kab