Berlin – Vor dem Krisen-Parteitag in Erfurt versucht die Linke, ihre Reihen zu schließen. Parteichefin Janine Wissler verlangt eine gemeinsame Linie: „Wer für die Partei spricht, muss die Position der Partei vertreten.“ Der Leipziger Sören Pellmann, der sich als Co-Vorsitzender bewirbt, meinte, die Partei müsse „sich unterhaken und Egoismen zurückstellen“.
Dagegen betonte die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht vor dem heute beginnenden Treffen den Richtungsstreit. Wagenknecht kann aber wegen Krankheit nicht nach Erfurt kommen. Es bestehe der Verdacht, dass sie sich mit Corona angesteckt habe, teilte sie mit. „Das bedaure ich sehr.“
Zuvor hatte Wagenknecht der „Frankfurter Rundschau“ mit Blick auf die Linie zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine gesagt: „Dass jetzt auch der Linken-Parteivorstand für sogenannte Menschenrechtskriege ohne UN-Mandat wirbt, entsetzt mich. Das wäre der endgültige Bruch mit der bisherigen friedenspolitischen Tradition der Linken.“ Von Wissler setzte sich Wagenknecht klar ab: „Ich glaube, wir brauchen frische, überzeugende Gesichter an der Spitze, Persönlichkeiten, bei denen die Leute sagen: Die setzen sich wirklich für uns ein!“
Die Ausgangslage: Wissler, Wagenknecht und andere sind sich zumindest einig, dass die Partei in einer Existenzkrise sei. Bei der Bundestagswahl hatte die Linke mit 4,9 Prozent den Einzug ins Parlament nur über drei direkt gewonnene Mandate in Berlin und Leipzig geschafft. Eines davon gewann Pellmann. Bei den Landtagswahlen im Saarland erreichte sie 2,6 Prozent, in Schleswig-Holstein 1,7 und in NRW 2,1. Zudem erschütterten Vorwürfe der sexuellen Belästigung und des Sexismus die Partei. Wisslers Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow trat im April zurück.
Die Kandidaten: In Erfurt soll am Samstag der gesamte Parteivorstand neu gewählt werden. Für die Doppelspitze kandidieren neben Wissler und Pellmann acht weitere Frauen und Männer: Julia Bonk, Carlo Eidmann, Wolfgang Kolonko, Christoph Mehrle, Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Rolf Schümer und Torsten Skott. Chancen werden neben Wissler und Pellmann nur der Bundestagsabgeordneten Reichinnek und dem Europapolitiker Schirdewan zugetraut.
Promis in der Kulisse: Viel bekannter sind Wagenknecht und Ex-Fraktionschef Gregor Gysi. Auch die Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohammed Ali, der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte, Ex-Parteichef Bernd Riexinger oder Ex-Vize Klaus Ernst haben mehr Profil. Aber entweder wollen sie nicht kandidieren oder haben keine Aussicht auf Mehrheiten.
Streitthema Ukraine: In vielen Punkten scheinen sich viele Linke einig: Schwerpunkt auf Sozialpolitik, um Ärmere kümmern, Ampel von links attackieren, einfache Sprache sprechen. Ein Topthema wird die Außenpolitik. Wie klar wird Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt? Wie viel Mitschuld der Nato zugeschrieben? Ist auch die Linke für Sanktionen gegen Moskau und wenn ja, welche? Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow erwartet klare Worte: „Wir können uns nicht auf die Seite von Autokraten stellen.“ SIMONE ROTHE