„Spannungen können eskalieren“

von Redaktion

Christian Schmidt ist „Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“. Das klingt recht formell und protokollarisch – ist aber eine Aufgabe mit enormer Macht. Der 65-Jährige soll über den fragilen Frieden im Land wachen, ist von der Staatengemeinschaft eingesetzt und kann in Bosnien radikal durchgreifen: Gesetze annullieren oder erlassen, Beamte feuern, Behörden aufbauen. Er ist seit einem knappen Jahr im Amt. Zuvor war der Franke einer der wenigen CSU-Politiker, die sich im Bundestag leidenschaftlich um Außen- und Sicherheitspolitik kümmerten. Schmidt ist verheiratet, zwei Töchter. Dienstsitz: Sarajevo.

Bosnien-Herzegowina gilt seit 2016 lediglich als „potenzieller Beitrittskandidat“. Bei der Ukraine und der Republik Moldau geht’s jetzt ganz schnell. Ärgert das die Bosnier?

Natürlich ärgert das die Menschen – zu Recht. Sie ärgern sich aber vor allem über die eigene politische Klasse. Die Politiker in Bosnien-Herzegowina erfüllen viele Verpflichtungen nicht, die sie 2016 eingegangen sind. Da ist leider der Befund katastrophal. Jüngstes Beispiel: Nicht mal die Reform des Wahlgesetzes hat geklappt. Am Ende habe ich mit meinen Exekutivbefugnissen die Finanzierung der Wahl gesetzlich sichern müssen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die bosnischen Serben sich noch im Sommer abspalten?

Die Führung der bosnischen Serben – knapp eine Million – spielt politisch damit, dass sie sich abspalten will. Nur wohin eigentlich? Eine Eigenständigkeit macht keinen Sinn. Leider wird momentan sehr destruktiv gearbeitet: Die serbische Teilrepublik Srpska versucht, 140 landesweite Gesetze für sich abzuändern. Ungefähr so, wie wenn Bayern sich nicht mehr um Bundesgesetze scheren würde, plötzlich eigene Steuern und Renten erfinden würde.

Würde eine Abspaltung direkt zum nächsten Bosnien-Krieg führen?

Milorad Dodik, das serbische Mitglied des Staatspräsidiums in Bosnien-Herzegowina spricht zwar gelegentlich von einer friedlichen Auflösung. Aber es kann keine friedliche Auflösung in dieser Region geben. Jeder, der dort mit der Verschiebung von Grenzen spielt, muss wissen: Er provoziert gewaltsame Konflikte. Aber um es einmal klar zu sagen: Im Moment droht weder eine Abspaltung noch ein bewaffneter Konflikt.

Ist die Lage so fragil?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nach wie vor gibt es in diesem Land drei unterschiedliche Lehrpläne für die drei Volksgruppen. In Geschichte etwa lernen die kroatischen Kinder etwas anderes als die serbischen. Zum Teil gehen die Kinder in die gleichen Schulgebäude, nur durch unterschiedliche Türen. Hier werden ein Stück weit auch Nationalismen erzogen.

Wie sehr mischt Russland auf serbischer Seite mit?

Einige führende Politiker aus der Republik Srpska haben einen sehr engen Draht nach Moskau – insbesondere zu Außenminister Lawrow. Ich habe den Eindruck: Der Kreml weiß, dass er dort eine mögliche Schachfigur hat, die er hin- und herbewegen kann. Diese Gefahr ist bisher nicht akut, aber regionale Spannungen können schnell eskalieren.

Was hemmt den bosnischen EU-Beitrittsprozess?

Die Kernprobleme in dieser Region sind Korruption und schlechte wirtschaftliche Entwicklung. Vor allem junge Leute aus allen Teilen Bosnien-Herzegowinas wandern ab. Die Menschen sind sehr gut ausgebildet – aber sie wollen eine Perspektive. Dann greift das Motto: Entweder kommt die EU zu uns oder wir kommen zur EU. Dort wollen nämlich alle hin. Ich habe noch nie gehört, dass sich junge Leute – auch nicht aus der Republik Srpska – nach Moskau orientieren.

Sie machen sich stark für Beitrittsprozesse in Zwischenstufen. Ist das nur ein Trostpflaster?

Nein, auf keinen Fall. Aber: Das Verfahren darf keine Sackgasse werden. Wir müssen den Ländern des Balkans eine Perspektive für die nächste Generation bieten. Für die jetzige junge Generation ist das Momentum wohl schon verloren. Deswegen bin ich für erfahrbare Schritte: den Weg zum Binnenmarkt ermöglichen, das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vertiefen oder im Bildungsbereich Studentenaustausch ermöglichen. Es wird Zeit, dass Programme wie zum Beispiel Erasmus in Bosnien-Herzegowina angewendet werden können. Das wäre ein positives Zeichen Richtung Europa.

Der Balkan hat schwere Kriege erlebt. Wie wird nun der Ukraine-Krieg hier wahrgenommen?

Den Leuten schlottern die Knie. Gerade in der Hauptstadt Sarajevo ist die Erinnerung an die Belagerungszeit sehr wach. Die Menschen haben damals drei Jahre auf internationale Hilfe warten müssen. Sie fragen sich: Was heißt das für uns? Was braut sich da zusammen? Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir die EU-Militärmission „Eufor Althea“ in Bosnien-Herzegowina verstärken. Es geht darum, dass wir sichtbar sind und das Sicherheitsgefühl der Menschen stärken. Damit zeigen wir: Wir wollen Stabilität und Frieden.

Interview: Leonie Hudelmaier, Klaus Rimpel, Chr. Deutschländer

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