Hongkongs trauriges Jubiläum

von Redaktion

VON JÖRN PETRING UND CHRISTOPH MEYER

Hongkong – Eigentlich müssten sich heute im Hongkonger Victoria Park die Demonstranten versammeln. Für die Demokratie-Bewegung war es lange eine Tradition, am 1. Juli, dem Jahrestag der Rückgabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China, von dort zu einem Marsch durch die Stadt aufzubrechen. Zehntausende, manchmal auch Hunderttausende schlossen sich an.

In diesem Jahr, wenn Hongkong den 25. Jahrestag der Rückgabe begeht, wird es solche Bilder nicht geben. Der Victoria Park ist fest in der Hand der Regierung, die ihn für die Feierlichkeiten hergerichtet hat. „Eine Neue Ära“, ist auf Plakaten zu lesen, die das Jubiläum bewerben.

Mit der Einführung eines strengen Sicherheitsgesetzes hat Peking vor zwei Jahren jeglichen Widerstand in der Finanzmetropole erstickt. Aktivisten werden verfolgt. Ihre einstigen Anführer sitzen, wie etwa der 25-Jährige Joshua Wong, im Gefängnis. Oder sie sind ins Exil geflüchtet. Die Civil Human Rights Front, die Organisation hinter den jährlichen Protest-Märschen, hat sich aufgelöst.

„Ein Land, zwei Systeme“, so lautete die Formel, unter der Hongkong eigentlich seit dem 1. Juni 1997 regiert werden sollte. Auch bekamen die sieben Millionen Hongkonger die Zusage, bis 2047 ein „hohes Maß an Autonomie“ und viele politische Freiheiten genießen zu können. Seit dem Erlass des Sicherheitsgesetzes reden viele aber nur noch von „Ein Land, ein System“, weil Hongkong China immer ähnlicher werde.

„Seit Einführung des Sicherheitsgesetzes kam ein Schlag nach dem anderen“, sagt Katja Drinhausen vom China-Institut Merics in Berlin. Verhaftungen von Aktivisten und Oppositionspolitikern, Wahlrechts- und Bildungsreformen und die Auflösung von liberalen Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen seien nur die wichtigsten Beispiele.

Der letzte britische Gouverneur von Hongkong, Chris Patten, ist frustriert. Verantwortlich macht er vor allem Chinas Präsident Xi Jinping, der seit 2012 an der Spitze des Landes steht. Der Staatschef traf gestern zu den Feierlichkeiten ein. Dort soll er John Lee, den Nachfolger der bisherigen Regierungschefin Carrie Lam, vereidigen. Für Xi ist es das erste Mal seit Ausbruch der Pandemie, dass er Festlandchina verlassen hat. Die Stadt sei „aus dem Feuer auferstanden“, sagte er.

„Ich denke, man kann sagen, dass zehn Jahre lang oder ein bisschen länger nach 1997 nicht wahnsinnig viel schiefging. Aber seitdem geht es bergab, weil Xi Jinping und seine Kollegen sich davor fürchten, was Hongkong repräsentiert“, sagt Patten, der von 1992 bis 1997 an der Spitze der Verwaltung in der Ex-Kolonie stand, bei der Vorstellung seines neu erschienenen Hongkong-Tagebuchs in London. Die Stadt stehe für Rechtsstaatlichkeit, Bürger- und Menschenrechte, gegen deren Aushöhlung durch den Staat sich die Menschen in Hongkong bei Protesten leidenschaftlich einsetzten. Hoffnung auf Besserung hat er kaum: „Ich kann nur meine tiefe Traurigkeit zum Ausdruck bringen über das, was geschieht.“ Der britische Premierminister Boris Johnson hat Hongkong weiterhin Unterstützung zugesichert. „Wir geben Hongkong nicht auf“, sagte er gestern in einem Video auf Twitter.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Hong Kong Watch haben bereits mehr als 120 000 Menschen aus Hongkong Visa im Rahmen einer erleichterten Einreiseregelung für Großbritannien beantragt. Anspruch darauf haben rund 5,4 Millionen, die vor 1997 in der früheren Kronkolonie geboren wurden. London führte die Regelung 2021 als Reaktion auf den Erlass des umstrittenen Sicherheitsgesetzes ein.

„Wir sind ziemlich pessimistisch, was die Zukunft Hongkongs derzeit angeht“, sagt auch Sam Goodman, Policy and Advisory Director bei Hong Kong Watch. Das einzig Positive sei, dass die wachsende Diaspora aus der Demokratiebewegung Hongkongs zu einem Umdenken westlicher Politiker in ihrem Umgang mit China führe.

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