London – Der Politzauberer Boris Johnson verliert seine Magie. Nach gut drei Dutzend Rücktritten von Parteifreunden blies letztlich das Kabinett zur Revolte. Mehrere Minister wollten dem britischen Premierminister die Gefolgschaft aufkündigen, wenn er nicht zurücktrete, hieß es gestern Abend in London. Unter den Aufständlern waren Medienberichten zufolge der erst am Vortag berufene Finanzminister Nadhim Zahawa sowie die bislang loyale Innenministerin Priti Patel. Seinen alten Weggefährten Michael Gove, eines der Schwergewichte im Kabinett, entließ Johnson am Abend.
Offen fallen Parteifreunde dem konservativen Regierungschef in den Rücken. Gleich von mehreren Tory-Kollegen musste sich der Regierungschef gestern fragen lassen, wann er denn nun endlich abtreten werde. „Bye, Boris!“, johlte es von den Oppositionsbänken, als er das Unterhaus verließ.
Klar ist aber auch: Johnson wird seinen Gegnern keinen Gefallen tun. Er werde seine Arbeit fortsetzen, schleudert der bullige Politiker den Kritikern entgegen, und auch seine Sprecherin stellt klar, der Premier werde kämpfen – auch wenn es zu einem parteiinternen Misstrauensvotum kommt. Johnson sei überzeugt, dass er die Mehrheit auf seiner Seite habe.
Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Vielmehr wird es um den begnadeten Selbstdarsteller immer einsamer. Die Reihen lichten sich – stets garniert mit scharfer Kritik an seinem Führungsstil. „Ist dies der erste bestätigte Fall, in dem das sinkende Schiff eine Ratte verlässt?“, höhnte Oppositionsführer Keir Starmer. Die Zeitung „Daily Mail“ fragte auf ihrer Titelseite despektierlich, ob das „gefettete Ferkel“ Johnson sich noch mal befreien könne.
Bisher galt der Premier als Gewinnertyp, nichts schien ihm schaden zu können. Doch damit ist nun Schluss, kaum jemand will ihn noch verteidigen. Der „Guardian“ zitierte einen Abgeordneten mit den derben Worten: „Ich bin im Arsch, wenn ich das je wieder tue.“ Diese Einschätzung ist bei den Konservativen inzwischen ziemlich weit verbreitet. „Diejenigen, die nicht zurücktreten, wissen, dass sie ihre Posten unter einem neuen Premier verlieren werden“, sagt der Politologe Mark Garnett.
Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid, dessen Rücktritt am Dienstagabend die Regierungskrise ausgelöst hatte, rief seine ehemaligen Kabinettskollegen fast unverhohlen dazu auf, Johnson zu stürzen. Er gilt wie der ebenfalls zurückgetretene Finanzminister Rishi Sunak als möglicher Nachfolger. Die BBC zitierte einen Tory-Politiker mit den Worten, er vernehme einen „Geruch des Todes“ im Regierungsbezirk Westminster.
Experte Garnett vermutet, dass Johnsons Partei nun alles daran setzen wird, ihren Chef loszuwerden. Sehr bald könnte das Parteikomitee die Regeln ändern und ein weiteres Misstrauensvotum einberufen, war in Westminster zu hören. Anders als zunächst erwartet wird dieser Schritt allerdings nicht mehr diese Woche erfolgen. Die Opposition fordert derweil vehement eine Neuwahl.
Johnson gibt sich unverdrossen kämpferisch. Er werde weitermachen, kündigt er an, Angriffe gegen die Opposition inklusive. „Scheiß drauf“, soll Johnson intern auf die Frage nach seinem Rücktritt geantwortet haben, berichtete die „Times“. Politologe Garnett sagte voraus: „Seine Partei wird ihn aus der Downing Street herauszerren müssen.“