Kiew schlägt zurück

von Redaktion

VON ANDREAS STEIN, CHRISTOPH HOFFMANN UND ULF MAUDER

Kiew/Berlin/Moskau – Aus vollen Rohren feuern die ukrainischen Soldaten seit Tagen mit den Himars-Mehrfachraketenwerfern, die sie aus den USA bekommen haben. In den Gebieten im Osten und im Süden ihres Landes, die jetzt unter russischer Kontrolle sind, sprengen sie Waffen- und Munitionsdepots sowie Treibstofflager in die Luft. Auf Videos zeigen sie stolz, wie Ziele in den Gebieten Luhansk, Donezk und Cherson in Flammen aufgehen. Bilder, die in den eigenen Reihen die Kampfmoral heben sollen.

Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj lobt die vom Westen gelieferten schweren Waffen als effektiv – und fordert mehr davon. Am Freitagabend teilte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow mit, dass eine erste Lieferung des modernen Mehrfach-Raketenwerfersystems M270 aus Großbritannien eingetroffen sei. Damit können Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung mit präzisionsgelenkten Raketen getroffen werden.

Selenskyj kündigt immer wieder eine Offensive an, um verlorene Gebiete zurückzuholen. Aber einen echten Durchbruch sehen selbst ukrainische Experten nicht. Die Zerstörung von Munitions- und Treibstoffdepots in der Nähe der Front wirkt nach Einschätzung des ukrainischen Militäranalysten Oleh Schdanow vor allem kurzfristig. „Das senkt die Kampfaktivität der russischen Einheiten sehr drastisch“, sagt er im ukrainischen Fernsehen. „Das macht uns die Verteidigung leichter. Und wir erhalten die Möglichkeit, an einzelnen Abschnitten zu Gegenangriffen überzugehen.“ Die Russen kämen im Donbass nur langsam und mit großen Verlusten voran – und gegen die Himars-Raketen habe die russische Luftabwehr keine Chance.

Auch kremlkritische russische Medien berichten, dass Moskau kaum Zeit gehabt habe, die jüngste Eroberung des Gebiets Luhansk zu feiern. Russland habe zwar einen Vorteil durch seine Artillerie und Munitionsvorräte. Aber das System Himars mit seinen durch GPS punktgenau platzierten Raketen versetze den Truppen empfindliche Schläge, heißt es in einer Analyse des Portals Meduza. Die Versorgung der Soldaten mit Waffen, Munition und Treibstoff müsse Moskau nun komplett neu ausrichten.

Die Ukraine hofft auf noch mehr Waffen aus dem Westen. Auch die Panzerhaubitze 2000 ist inzwischen an der Front. Deutschland hat sieben Stück geliefert, die Niederlande fünf – gemeinsam wollen beide Staaten die Zahl auf 18 Haubitzen erhöhen. Zeitgleich läuft in Deutschland das Training von Ukrainern am Raketenwerfer Mars II, dem nächsten Waffensystem, das von Berlin bereitgestellt werden soll.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat weitere Lieferungen als Teil des Ringtauschs für die kommenden Wochen angekündigt. Andere sind aber zögerlich. So hat Verteidigungsministerin Christine Lambrecht einer Lieferung von Transportpanzern des Typs Fuchs aus Bundeswehr-Beständen eine Absage erteilt – wegen der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.

Dabei könnte die Störung der russischen Logistik nach Einschätzung von Militärexperten zwar die Voraussetzung schaffen für eine ukrainische Gegenoffensive. Aber im Moment liegt die Initiative weiter bei den Russen, die sich langsam im Donezker Gebiet vorarbeiten. Auch die Hoffnungen auf eine baldige Rückeroberung von Cherson und des Südens, der früh verloren ging, sind gering. Die Berichte Kiews über angebliche Offensiven wurden selbst dem für Gegenpropaganda geschaffenen Zentrum für strategische Kommunikation zu viel. Tatsächlich gebe es nur drei befreite Dörfer. Der Regierungsbezirk hat mehr als 650 Siedlungen.

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