München/London – Ganz Großbritannien blickt auf das Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson. Die Kandidaten kämpfen nicht nur um den Vorsitz der konservativen Tory-Partei, sondern auch um die Stelle des Premierministers. Runde für Runde scheidet ein Kandidat aus, bis am 5. September der Sieger verkündet wird.
Rishi Sunak: Der ehemalige Finanzminister bringt aktuell am meisten Parteistimmen hinter sich. Sunak hat, wie viele englische Politiker, Politik, Philosophie und Wirtschaft (PPE) in Oxford studiert. Vor seiner Karriere als Politiker war er in der Wirtschafts- und Finanzbranche tätig, unter anderem bei der Investmentbank Goldman Sachs. Seine Großeltern sind aus Indien eingewandert. Im Falle eines Sieges wäre er der erste britische Premierminister mit Migrationsgeschichte. Sunak war, wie Johnson, in die sogenannte Party-Gate-Affäre verwickelt, bei welcher britische Politiker trotz Coronaregeln eine Gartenparty gefeiert haben. Den größten Karrieresprung verdankt der 42-Jährige Boris Johnson, der ihn 2019 ins Finanzministerium holte. Umso übler nehmen Johnsons Unterstützer ihm seinen Rücktritt als Minister: Dieser gilt nämlich als Auslöser für die aktuelle Staatskrise.
Penny Mordaunt: Die Handelsstaatssekretärin machte 2019 Schlagzeilen als erste weibliche Verteidigungsministerin Großbritanniens –wenn auch nur für knapp drei Monate. Die Stelle war kein Zufall: Die 49-Jährige ist Tochter eines Fallschirmjägers und Reservistin der Royal Navy. Sie besuchte als Erste in ihrer Familie die Universität, arbeitete nebenbei als Magier-Assistentin und war danach bei der Turmspring-Show „Splash!“ zu sehen. Außerdem war sie Teil des Wahlkampf-PR-Teams des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush. Auch wenn sie schon seit 2010 im Parlament sitzt, war sie eher unbekannt. Umso überraschender, dass sie aktuell nach Sunak die meisten Abgeordnetenstimmen hinter sich bringt. Laut der Basis wäre sie sogar die Nummer eins. Von den Top drei hat sie am meisten Distanz zu Boris Johnson.
Liz Truss: Die Außenministerin steht aktuell auf Platz drei in dem Wettkampf um Downing Street 10. Truss ist mit über zehn Jahren Regierungserfahrung unter drei Premierministern die geübteste Kandidatin. Sie besuchte denselben Oxford-Studiengang wie Sunak. Während sie in ihrer Unizeit für die Liberal-Demokraten antrat, konvertierte sie danach zur rechten Hardlinerin und inszeniert sich nun als Margaret Thatcher. Auch an anderer Stelle zeigte sie Wechselhaftigkeit: Stimmte sie zuerst für einen EU-Verbleib, macht sie mittlerweile Anti-EU-Werbung. Sie steht immer noch an der Seite von Boris Johnson und hat deshalb die Stimmen seiner Unterstützer.
Tom Tugendhat: Momentan ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und zählt eher zu den Außenseitern. Er ist vergleichsweise kurz in der Politik tätig, war zuvor Journalist, PR-Berater im Mittleren Osten und Offizier im Irak- und im Afghanistankrieg. Tugendhat gilt als moderat und fordert wieder mehr Nähe zur EU. Das Nordirland-Protokoll, das zuletzt ein Streitpunkt zwischen beiden Parteien war, möchte er aber nicht abschaffen.
Kemi Badenoch: Aufgewachsen in Nigeria, gilt die ehemalige Gleichstellungsministerin als Star des rechts-konservativen Flügels. Ihr Sieg ist trotz Unterstützung von Tory-Größe Michael Grove unwahrscheinlich. Vor ihrer Politikkarriere war sie als Software-Ingenieurin tätig. Die 42-Jährige ist Brexit-Fan und setzt sich lautstark gegen Identitätspolitik ein. REBECCA HABTEMARIAM