Die Schily-Schoten verlieren nicht an Schärfe

von Redaktion

Wortgewaltig bis ins hohe Alter: Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily wird 90

Berlin – Als Nancy Faeser im Dezember etwas überraschend zur Bundesinnenministerin ernannt wurde, fiel auch öfter sein Name: Otto Schily. 16 Jahre nach Schily übernahm mit Faeser wieder jemand von der SPD das Bundesinnenministerium. Faesers erste Monate im Amt haben gezeigt, dass sie ihrem sozialdemokratischen Vorgänger nicht nachzueifern gedenkt. Seine etwas bärbeißige, schroffe Art, aber auch seine Wortmächtigkeit hatten den vor dem 90. Geburtstag stehenden Schily zum „eisernen Otto“ gemacht.

Der „eiserne Otto“ hat von seiner Fähigkeit, sich pointiert zu äußern, auch im Alter keinen Deut eingebüßt. Als Ende vergangenen Jahres hart über die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht gestritten wurde, setzte der selbst zur besonders gefährdeten Gruppe gehörende Schily ein klares Statement. Als „schlicht verfassungswidrig“ bezeichnete er das inzwischen im Bundestag gescheiterte Projekt in der „Welt“. „Nicht einmal in der sonst so vehement als autoritär gescholtenen Volksrepublik China besteht sie.“

Das war eine typische rhetorische Schily-Schote, mit viel Schärfe. Auf diese Weise äußerte er sich immer wieder in seinem nun schon seit 17 Jahren andauernden politischen Ruhestand.

Drohende Kritik hat Schily dabei nie von streitbaren Äußerungen abgehalten – vielleicht ist das auch eine Frage der Herkunft. Schily wurde am 20. Juli 1932 in Bochum geboren. Sein Vater, ein Hüttendirektor, und seine Mutter waren Anthroposophen, also Anhänger der Lehren von Rudolf Steiner. 1941 durchsuchten die Nationalsozialisten Schilys Elternhaus und beschlagnahmten anthroposophische Literatur – für den jungen Schily eine prägende Erfahrung, die den Widerstandsgeist weckte.

Schily studierte Politikwissenschaft, gründete 1963 eine Anwaltskanzlei. Er verteidigte den später zum Neonazi gewandelten RAF-Terroristen Mahler, ab 1975 im Stammheimer Prozess die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Schily musste sich immer wieder gegen den Eindruck wehren, sich mit den Zielen der RAF identifiziert zu haben.

Erst mit fast 50 Jahren begann Schily, sich politisch zu engagieren. 1980 stieg er bei den Grünen ein, 1983 schaffte er es in den Bundestag und wurde neben Petra Kelly und Marieluise Beck einer der ersten Fraktionssprecher. Aber Schily eckte bei den Grünen immer wieder an, 1989 wechselte er zur SPD.

Die Sozialdemokraten schätzten seine rhetorische Schärfe. Dass er im rentenfähigen Alter von 66 Jahren von Kanzler Schröder zum Innenminister gemacht wurde, überraschte dennoch.

Dass Schily mit knapp 90 Debatten nicht nur verfolgt, sondern sich auch daran beteiligt, zeigte er auch im Ukraine-Krieg. In der Schweizer Zeitung „Blick“ sagte er vor Kurzem: „Im Blick auf die ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Vielfalt der Ukraine sollte sie sich an der Schweizer Verfassung orientieren“, regte Schily für die Ukraine Neutralität an.

Allerdings blieb seine These ohne Widerhall – der frühere Bundesinnenminister teilt das Schicksal vieler ehemaliger Politiker, die zwar noch eine Meinung, aber keinen Einfluss mehr haben.

RALF ISERMANN

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