Rom – Die Rede ist vom D-Day, dem „Draghi-Day“. Am heutigen Mittwoch wird der noch amtierende italienische Ministerpräsident Mario Draghi vor den beiden Kammern des Parlaments in Rom eine Regierungserklärung abgeben. Erst vor dem Senat, dem Oberhaus, dann auch vor dem Abgeordnetenhaus, der größeren Kammer. Anschließend sollen beide Kammern darüber abstimmen, ob sie dem Premier das Vertrauen aussprechen.
Dass Draghi genügend Stimmen zusammenbekommen wird, darüber gibt es angesichts der Viel-Parteien-Koalition von links bis ganz rechts keinen Zweifel. Die Frage ist, ob er noch will – oder es wagt, das Land, den Staatspräsidenten und die Lawine von Bittgängern vor den Kopf zu stoßen. „Italien hält den Atem an“, schrieb der „Corriere della Sera“.
Vergangene Woche hatte der 74 Jahre alte parteilose Premier seinen Rücktritt eingereicht, weil der größte Koalitionspartner, die Fünf-Sterne-Bewegung, bei einer Vertrauensabstimmung über ein Milliarden-Hilfsdekret ihm nicht das Vertrauen aussprach, sondern den Saal verließ. Für Draghi, der seit Februar 2021 einer aus der Not geborenen „Regierung der nationalen Einheit“ vorsitzt, war das zu viel. Er sah vor den im Frühjahr planmäßig stattfindenden Wahlen eine Phase politischer Erpressungen auf sich zukommen, trat zurück. Und musste dann aber doch weiter im Amt bleiben, weil Staatspräsident Sergio Mattarella den Rücktritt ablehnte. Ein beispielloser institutioneller Kraftakt, um den angeblich besten Mann des Landes umzustimmen.
Die vergangenen Tage waren geprägt von diesem Bemühen. Nicht nur viele Koalitionskräfte forderten Draghi zum Weitermachen auf. Über 1600 Bürgermeister unterschrieben für den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank. Der Unternehmerverband, sogar Vereine wie der Umweltverband Legambiente oder die Antimafiavereinigung Libera hoffen, dass Draghi weitermacht. Die italienische Bischofskonferenz, der Vatikan, die Europäische Union, die Regierungszentralen der Partnerländer, sogar die Universitätsdirektoren hoffen, dass sich der Römer doch noch umstimmen lässt. In Rom, Florenz, Mailand und Turin gab es sogar Pro-Draghi-Demonstrationen.
Draghi hat Reformen verwirklicht, gilt als Garant für den verantwortungsvollen Umgang mit den EU-Hilfsmilliarden, Italien profitiert von seinem Ansehen. Am Montag tütete der Premier noch wichtige Abkommen in Algerien etwa zur Gasversorgung ein.
Der Chef der Sozialdemokraten, Enrico Letta, versuchte Draghi am Dienstag unter vier Augen zum Weitermachen zu überzeugen. Auch mit Staatschef Mattarella kam Draghi zusammen. Ein Zeichen für die Wende? Umgestimmt werden könnte er nur noch, heißt es aus seinem Umfeld, wenn ihm alle Parteien der Koalition am Mittwoch das Vertrauen aussprechen. Das ist vor allem angesichts der Existenzkrise der Fünf-Sterne-Bewegung unter Ex-Premier Giuseppe Conte ungewiss. Conte legte dem Premier einen Neun-Punkte-Plan vor mit sozialpolitischen Forderungen und erwartet konkrete Signale.
Unterdessen haben die rechte Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia angekündigt, keine Koalition mehr mit den Fünf Sternen führen zu wollen. Als „inkompetent“ und „nicht vertrauenswürdig“ bezeichnen sie den bisherigen Koalitionspartner.
Wie soll so die Quadratur des Kreises gelingen? Die politische Operation, Draghi noch bis in den Frühling im Regierungssitz Palazzo Chigi zu halten, erscheint extrem komplex. Denkbar ist auch, dass sich die zerstrittene Fünf-Sterne-Bewegung erneut aufspaltet, in Opponenten und Unterstützer Dra-ghis.
Am Dienstag feilte Draghi an seiner entscheidenden Rede. Die Rufe nach dem Retter wurden derweil immer dramatischer. Antonio Decaro, Bürgermeister von Bari und Chef des italienischen Städtetages, sagte: „Zeigen wir doch bitte einmal, dass wir ein ernst zu nehmendes Land sind.“