Warum Söder den Winter so fürchtet

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND WOLFGANG DEPONTE

München – Diese Woche ist Markus Söder mit einer Radio-Reporterin aneinander geraten. Warum er dauernd gegen die Ampel-Regierung in Berlin stänkere, fragte sie in forschem Ton und hielt dem CSU-Chef das Mikro unter die Nase. Söder, erkennbar mühsam beherrscht, knurrte zurück, was sie da mit „Stänkern“ meine. Er forderte eine Erklärung ein, mehrfach, sie konterte, er solle sich doch jetzt an dem einen Wort nicht aufhängen.

Ein recht schönes Interview wurde daraus nicht mehr, beide Seiten gingen kopfschüttelnd ihrer Wege. Dabei ist beides berechtigt: Die Frage nach Söders scharfer Kritik Richtung Berlin. Und seine in dieser Sache angekratzte Laune. Denn in diesen Tagen wird deutlich, warum Söder immer und immer wieder auf einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke dringt und vor einem Gas-Lieferstopp warnt: Der Süden wäre bei einem Energiemangel davon dramatisch stärker betroffen als die anderen Bundesländer.

„Bayern muss zittern“, titelt diese Tage die „FAZ“, „das bayerische Problem“ analysiert der „Spiegel“, Fehleinschätzungen und Populismus könnten sich ab Herbst „bitter rächen“. In der Tat warnte der Chemieverband VCI, die Mangellage werde sich bei einem russischen Gas-Lieferstopp schrittweise verschärfen. Der Süden und Südosten werde „zuerst in die Knie gehen“. Sogar das Kanzleramt spricht von „regionalen Versorgungsengpässen“.

Für den Freistaat potenzieren sich mehrere Problemfaktoren. Bayern hing überdurchschnittlich an russischem Gas. 2021 kamen 45 Prozent des Gas- und Öl-Imports aus Russland. Bei NRW liegt dieser Wert bei 8 Prozent. Das Gas floss mittels Nord Stream 1 und über die Pipeline „Megal“ durch die Ukraine gen Bayern. Beide Linien sind derzeit fast dicht.

Bayern muss sich also stärker über West-Ost-Leitungen mit Gas aus den Niederlanden, Großbritannien und Norwegen bedienen lassen. Diese Linien versorgen aber zuerst die großen Verbrauchszentren im Westen und Nordwesten der Republik. Kommt am Ende noch genügend Gas mit genügend Druck im Süden an? Ähnlich ist es bei den Flüssiggas-Terminals. Sie liegen oder sind geplant an der Nord- und Ostseeküste. Auch für den Weg von der Mittelmeerküste durch die Alpen nach Bayern gibt es zu wenig Kapazitäten.

Die Gasspeicher sind ebenfalls ungünstig für Bayern: Der weitaus größte, Haidach, liegt in Österreich und ist deutlich leerer als die deutschen Speicher.

Das nächste dicke Problem hat Bayern beim Strom. Auch wegen des Widerstands aus der Seehofer-Zeit sind die großen Stromtrassen aus dem Norden nicht gebaut. Erdkabel sind zwar vereinbart, aber nicht fertig. Jetzt fehlen Kapazitäten, um die großen Windkraft-Parks im Norden und die Kohleregionen im Westen an den Süden anzuschließen. Um die eigenen Kohle-Kraftwerke wieder anlaufen zu lassen, braucht es – Kohle. Vom Haupthandelsplatz Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen gebe es aber keine Flussanbindung, sagt der Energiemarkt-Experte Tobias Federico. Bei den eigenen erneuerbaren Energien lief der Ausbau in Bayern nicht perfekt. Ganze drei neue Windräder wurden heuer gebaut (in Schleswig-Holstein: 72). Die CSU hielt hier ihre 10H-Abstandsregel sehr hoch. Die Wasserkraft ist kurzfristig weitgehend ausgereizt.

Gleichzeitig ist der Anteil der Kernenergie in Bayern aber sehr hoch, rund ein Viertel. Nach dem Atomausstieg am Jahresende fiele das auch weg. Kraftwerke, die ersatzweise Gas verstromen und auch Fernwärme produzieren können, sind auch aus dem Rennen. Und selbst wenn Bayern noch irgendwoher Energie bekommt, steigen die Preise dramatisch.

Die Bundesnetzagentur teilt, wenig tröstlich, mit, am Ende würde eine Rationierung alle Bundesländer gleich treffen. Es könne, wenn auch mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, in Bayern zu „Brownouts“ kommen, also lokalen Blackouts, sagt hingegen Energieexperte Federico. Für die CSU wäre das im Wahljahr 2023 keine schöne Aussicht. Das erklärt die geschärfte Tonlage. „Regionale Abschaltungen sind absolut falsch“, sagt Söder am Mittwoch in Banz, „zum großen Teil verfassungswidrig“. Der Ampel wirft er „ideologische Hartleibigkeit“ bei der Kernenergie vor und eine „Entscheidungsblockade“.

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