Der TÜV hätte keine Bedenken

von Redaktion

Fünf Argumente gegen die Verlängerung der Kraftwerke – und was davon zu halten ist

München – Noch immer steht das Nein der Bundesregierung zu einer Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Die Argumente sind immer die gleichen – aber sind sie auch schlüssig? Ein Überblick.

Strom vs. Wärme: Man habe kein Strom-, sondern ein Wärmeproblem, wird häufig angeführt. Dieses Argument führt in die Irre. So wurden 16 Prozent der deutschen Netto-stromerzeugung im Jahr 2021 aus Erdgas gewonnen. Diese Menge soll durch andere Quellen ersetzt werden, das Wirtschaftsministerium verweist dabei auf Kohlekraftwerke. Sauber sind die nicht. Gleichzeitig scheint die Regierung selbst eine Stromknappheit zu erwarten. Sie empfahl jüngst Unternehmen die Anschaffung von Notstromaggregaten. Für den Fall, dass das Gas knapp wird, legen sich zudem immer mehr Bürger Heizlüfter zu. Betrieben werden sie mit Strom.

Brennelemente: Der Brennstoff sei für eine gewisse Zeit angelegt, sagt der Wirtschaftsminister. Wolle man ihn länger nutzen, müsse man die Leistung jetzt drosseln, aber auch jetzt werde er ja benötigt. Experten verweisen jedoch darauf, dass sich im „Streckbetrieb“ die Elemente durch das Absenken der Temperatur im Reaktor durchaus länger nutzen ließen. „Das ist eine genehmigte und häufig erprobte Fahrweise“, sagt Uwe Stoll, technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Garching. „Die Leistung wird geringfügig niedriger“, circa 0,5 Prozent pro Tag, steht aber länger zur Verfügung. Der TÜV Süd kam jüngst zum Ergebnis, dass das Kraftwerk Isar 2 ohne neue Brennstäbe noch bis August 2023 Strom für 1,5 Millionen Haushalte liefern könne. Fast genauso viel könnte laut TÜV das Kraftwerk Gundremmingen mit vorhandenen Elementen beisteuern – wenn es hochgefahren würde.

Sicherheit: Die letzte große Sicherheitsüberprüfung der letzten drei Meiler war 2009. Nach zehn Jahren, als sie wieder angestanden hätte, verzichtete man aufgrund des absehbaren Abschalttermins, auf eine weitere Prüfung. Das heißt nicht, dass die Meiler jetzt Risikogebiete wären. „Sicherheitstechnisch ist das gar keine Frage“, sagt der Kernchemiker Andreas Kronenberg. Bei der Laufzeit sieht er in der Kernenergie „ganz viel Reserve“, mehr als in jedem anderen Industriezweig: „Das ist ja kein Joghurt, der da verfällt.“ Selbst eine größere Überprüfung der Reaktorsicherheit würde in der Praxis zudem nicht stören, betont Uwe Stoll: „Das ist vor allem Papierarbeit. Der Betrieb läuft weiter.“

Personalmangel: Hier sieht Kernchemiker Kronenberg tatsächlich „ein großes Problem“. Jüngere Mitarbeiter hätten den Arbeitsplatz längst gewechselt, ältere näherten sich dem Ruhestand. „Sie könnten vielleicht ein paar Rentner reaktivieren“, aber leicht wäre die Suche nach qualifiziertem Personal nicht. Was ihm Hoffnung macht: „In der Kernenergie ist der Zusammenhalt sehr stark. Die ticken anders.“Kronenberg glaubt deshalb: „Für drei Kraftwerke wäre es machbar.“

Gesellschaftliche Zustimmung: Die Mehrheit der Deutschen befürwortete lange den Ausstieg aus der Atomenergie. Unter dem Eindruck der Energiekrise hat sich das geändert. Anfang Juni sprachen sich in einer Insa-Umfrage 50 Prozent für eine Laufzeitverlängerung aus, 35 Prozent waren dagegen. Wenige Wochen später betrug das Verhältnis beim ARD-Deutschlandtrend bereits 61:32, beim ZDF-Politbarometer 57:41. MARC BEYER

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