Draghi-Rücktritt

Italien hätte Stabilität gebraucht

von Redaktion

JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Die Hochachtung, mit der vor allem die etablierten Medien in Italien vom ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank und Ministerpräsidenten Mario Draghi sprachen, war zuweilen verwunderlich. Man hatte sich offenbar schon zu sehr gewöhnt an die Fehlbarkeit der politischen Klasse. Wenn dann einer herausragt, wird er schnell vergöttert.

Darüber, ob Draghi wirklich das Beste war, was Italien passieren konnte, lässt sich streiten. Ein Vordenker der politischen Avantgarde war der 74-Jährige gewiss nicht. Doch das Land profitierte anderthalb Jahre von seiner Solidität, seinem Ansehen und seiner Expertise. Unter ihm und mit seiner Integrationskraft, die eine Zeit lang fast alle politischen Parteien in Rom bändigte, wurden wichtige Reformen angestoßen. Europa hatte eine zeitweise Garantie, dass Milliardenhilfen nicht versickerten, sogar die Finanzmärkte hielten trotz enormer Staatsverschuldung (150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) still. Nicht zuletzt kehrte Italien unter Draghi als gewichtiger Partner auf die internationale Bühne zurück.

Dass die Machiavellis Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) nun den Bruch provozierten, kann man als kurzsichtig beurteilen. Doch sobald nach den Neuwahlen im Oktober die neue Rechtsregierung steht, haben die beiden Männer aus ihrer Perspektive alles richtig gemacht. Italien hätte hingegen politische Stabilität nötig gehabt, auch wenn das Draghi-Wunder nur bis zu den regulären Wahlen im Frühjahr angedauert hätte. Dann hätte „Super-Mario“ abtreten und das Land auf eigenen Beinen stehen müssen.

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