Tunnel-Ärger im Landtag

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Die Debatte hat gerade erst begonnen, da bricht Geschrei aus im Landtag, der sich ab und zu für ein „Hohes Haus“ hält. „Sie pöbeln rum“, ruft der SPD-Chef durchs Plenum. „Saftladen“, schnaubt ein Abgeordneter, als „schizophren“ beschimpft die CSU die Grünen. Die Aussprache über den Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München ist mehr als der saisonale Sommerkrach: Im Parlament lodert wirklich Zorn.

Und das in mindestens fünf der sechs Fraktionen. Die einfachen Abgeordneten links wie rechts haben gemein, dass sie erst aus der Zeitung erfahren, was sich beim größten Infrastrukturprojekt Bayerns, einem der größten Neubauten der Republik, gerade tut: extreme Kostenmehrung auf mindestens 7,2 Milliarden Euro, Zeitplan gesprengt, Krisengipfel. Dennoch ist da kein Politiker der Regierung, der sich ans Pult stellt und Details nennt.

Die Opposition tut sich deshalb zusammen: Per Antrag zur Geschäftsordnung verlangt sie, sofort den Ministerpräsidenten herbeizuzitieren. Markus Söder ist nämlich nur kurz im Landtag, zu den salbungsvollen Schlussworten, aber erneut nicht zu unangenehmen Diskussionen. Söders Fehlen sei „eine Unverschämtheit“, schäumt der Grüne Markus Büchler. Die Opposition zählt verärgert auf, welche Bildtermine und Bierfeste er sonst so wahrnimmt. Nur mit Mühe und einem Verzögerungstrick kann die CSU Söders Vorladung abwenden. „Was regt’s euch denn so auf“, ruft ersatzweise Generalsekretär Martin Huber der Opposition zu.

Deutlich wird: Die Unterstützung für das Milliardenprojekt schrumpft. Die Grünen positionieren sich im Landtag nun offiziell dagegen. „Zwei Gleise zwischen Ostbahnhof und Pasing, und das restliche Bayern soll blechen dafür“, sagt der Grüne Büchler. Das werde „zehn Milliarden und mehr“ kosten. Man müsse sich „vom Tunnelblick befreien“. Tatsächlich wird genau darüber auch in der CSU geraunt: Bleiben bayernweit Bahn-Projekte zwei Jahrzehnte liegen, um die Münchner Röhre irgendwie noch zahlen zu können?

SPD und AfD kritisieren massiv die ausufernden Kosten. „Der Fisch stinkt vom Kopf her“, sagt der AfD-Abgeordnete Franz Bergmüller, er meint Söder. Beide Fraktionen unterstützen den Bau, erwägen aber einen Untersuchungsausschuss, natürlich mitten im Wahlkampf 2023.

Die FDP, die als alter Koalitionspartner vor 2013 den Tunnel mit einleitete, hat sich davon verabschiedet. „Steuergeld soll milliardenweise in dieses Loch gekippt werden“, sagt ein Liberaler.

Und, gefährlicher für die CSU: Der aktuelle Partner, die Freien Wähler, ist sauer. Die Aiwanger-Partei sendet mit Hans Friedl einen ruhigen, höflichen Abgeordneten ans Pult – seine Inhalte sind aber eine Abrechnung mit CSU und Bahn. Ohne die CSU zu nennen, sagt Friedl, die „fehlende Transparenz und Kommunikation“ sei ein „Desaster“. Die alte Kostenschätzung sei „illusorisch und naiv“ gewesen. „Wir Freie Wähler lassen uns nicht in die Mitverantwortung nehmen.“ Explizit wird er gefragt, ob seine Partei und Fraktion von der CSU im Unklaren gelassen worden seien. „Die Antwort auf diese Frage werde ich mir sparen“, sagt er nur. Friedl fordert eine „parlamentarische Baubegleitkommission“ im Landtag. Sprich: um der Bahn und dem CSU-geführten Verkehrsministerium genauer auf die Finger zu schauen.

Minister Christian Bernreiter (CSU) steht bei den Abgeordneten in der Kritik, weil er unlängst in einem Ausschuss des Parlaments vage und mäßig vorbereitet über die Stammstrecke referiert hatte. Er sagt auch diesmal, der Freistaat habe nicht die Hauptverantwortung: „Wir planen nicht, wir bauen nicht, wir sind wie der Bund Geldgeber.“ Bernreiter rügt, von der Bahn gebe es einen „katastrophalen Informationsfluss“. Der frühere Landrat kritisiert aber auch den Landtag: Schockiert sei er über diese Debatte: „Das würde es in einem Kreistag nicht geben.“

Artikel 2 von 11