München – Es ist eine ungewöhnliche Arbeitsteilung. Markus Söder bemüht sich nach dem Gespräch mit Bahnchef Richard Lutz am Mittwochnachmittag um Ausgleich. „Leider gab es kein abschließendes Ergebnis, aber es war nicht sinnlos“, bilanziert der Ministerpräsident. Auf seiner Habenseite: Alle bekennen sich zur zweiten Stammstrecke, die Bahn sichert maximale Transparenz zu. Unerfreulich ist dagegen, dass Lutz trotz der seit Wochen dauernden Debatte weder Kosten- noch Terminaussagen machen will. So schweben weiter die vom Ministerium kolportierten 7,2 Milliarden Euro und eine Verzögerung bis 2037 im Raum. Söder weiß: Er braucht die Bahn noch. Sie ist nun einmal für den Bau verantwortlich.
Andere Politiker geben sich weniger moderat. Söders Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU), der die öffentliche Debatte um die Kostenexplosion ja erst angeschoben hatte, schlägt eine andere Wortwahl als sein Chef an. Er „fordert“ und „erwartet“ von der Bahn – nicht nur in Sachen Stammstrecke. „Wir erwarten, dass die Langsamfahrstrecken, die Verspätungen und die Zugausfälle abgestellt werden“, sagt der Minister und erinnert Lutz unsanft daran, woher sein Geld kommt. „Der Freistaat Bayern zahlt indirekt im Jahr 700 Millionen Netzentgelte an die Deutsche Bahn – darum brauchen wir schnellstmöglich Verbesserungen.“
Noch schlechtere Laune hat Dieter Reiter (SPD). „Ich habe auch heute keine Gründe erfahren dürfen, warum ein Projekt plötzlich neun Jahre länger dauert“, schimpft der Oberbürgermeister. Deshalb könne man nicht über Beschleunigungsmaßnahmen nachdenken. „Lösungsansätze kann man nur dann finden, wenn man das Problem kennt.“ Wie Söder bekennt sich Reiter dazu, neben der Stammstrecke auch die neue U9 realisieren zu wollen. Aber: „Jede weitere Woche ohne Auskünfte über das weitere Schicksal der Stammstrecke birgt das Risiko, dass der politische Konsens bröckelt.“
Vermutlich hat Reiter auch deshalb so schlechte Laune, weil er sich schon am Vormittag im Stadtrat ärgern musste. Dort war Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel ähnlich vage geblieben wie später Richard Lutz. Großer Unmut! Von einem Kommunikationsdesaster der Bahn war die Rede. Laut Josel soll der Bau der U9 weiterhin integrativer Bestandteil des Gesamtprojekts sein. Zu den Ursachen für die Probleme sagte er: „Wir leisten in gewissen Bereichen Pionierarbeit. In München ist noch nie so tief gebaut worden.“ Außerdem sei der Baukostenindex massiv gestiegen und das Projekt gegenüber der ursprünglichen Planung erweitert worden. Wohlgemerkt: Die Änderungen wurden 2019 beschlossen. Mitte 2022 weiß man noch immer nicht, was das kostet.
Nicht nur Reiter ist verärgert. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl zeigte sich entsetzt, dass sich die Bahn nach wie vor weder zu Kosten noch zum Zeitplan äußere. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Nikolaus Gradl, kritisierte, die Bahn habe das Großprojekt offensichtlich nicht im Griff. Dies seien schlechte Nachrichten für die Stadt und für die mehr als 850 000 Pendler im Großraum. Pretzl nannte den Fertigstellungstermin 2037 als „in jeder Form inakzeptabel“. Der CSU-Politiker: „Viele Projekte der Verkehrswende in der Stadt hängen elementar von der Stammstrecke ab.“ Im Stadtrat war man sich einig, dass bisher aufgeschobene ÖPNV-Vorhaben wie der S-Bahn-Nord- und Südring nun vorangetrieben werden.
Auch die Außenäste im Umland sollen während des langen Wartens auf das Bauende weiter saniert werden. Die Pendler könnten sich derzeit nicht mehr auf die S-Bahn verlassen, schimpft Reiter. Es sei dringend geboten, das System wieder „halbwegs zuverlässig“ zu machen.