Tunis – Tunesiens Wähler haben sich für eine neue Verfassung entschieden – und damit auch für einen Abbau der Demokratie. Bei einem Referendum stimmten vorläufigen Ergebnissen der Wahlbehörde zufolge 94,6 Prozent für die neue Verfassung und damit einen weitreichenden Machtausbau des Präsidenten. Allerdings nahm nur ein knappes Drittel der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Die Verfassung kann nach der Verkündigung der endgültigen Ergebnisse voraussichtlich Ende August dennoch in Kraft treten.
Staatschef Kais Saied kann künftig ohne Zustimmung des Parlaments etwa die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen. Die Verfassung sieht zudem keine Instanz mehr vor, die den Präsidenten kontrollieren oder ihn gar des Amtes entheben könnte. Der Ex-Juraprofessor kündigte auch an, das Wahlrecht ändern zu wollen.
In Tunesien hatten 2010 die arabischen Aufstände begonnen, bei denen mehrere Länder ihre autokratischen Langzeitherrscher in die Knie zwangen. Tunesien gelang als einzigem Land in der Region der Wandel zur Demokratie. Wichtige Reformen kamen jedoch nicht in Gang.
Saieds Beliebtheitswerte sinken schon seit Längerem, wenngleich er Umfragen zufolge bei Neuwahlen noch immer von einer Mehrheit zum Präsidenten gewählt werden würde. Im Dezember soll eine Parlamentswahl stattfinden. Die EU forderte das Land zu einem nationalen Dialog auf, um „die Legitimität und Repräsentativität des künftigen Parlaments“ zu gewährleisten.