Was der Weizen-Deal bringt

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN

München – Es ist ein Spiel mit dem Hunger: Erst die Raketenangriffe auf die Hafenstadt Odessa am Samstag. Gestern dann die Drohung aus Moskau, den Getreide-Deal doch platzen zu lassen. Seit der Einigung zwischen der Ukraine, der UN und Russland am Freitag blickt die Welt skeptisch auf die ukrainischen Getreidehäfen am Schwarzen Meer: Wird sich Putin an sein Versprechen halten und die Exportschiffe auslaufen lassen? Ein erstes positives Zeichen gab es gestern von der Marine: Die drei Getreidehäfen Odessa, Tschornomorsk und Piwdenny seien wieder in Betrieb.

Zeitgleich wurde gestern in Istanbul das Kontrollzentrum für Getreide-Exporte eröffnet. Hier sollen die Handelsschiffe bei der Durchfahrt durch die Meerenge Bosporus, also bei der Ein- und Ausfahrt ins Schwarze Meer, kontrolliert werden. Man will sicherstellen, dass sie keine Waffen oder Ähnliches geladen haben. Nur Getreide, Lebensmittel, Dünger und Ammoniak – so lautet die erste große Einigung zwischen den beiden Kriegsparteien.

Das Zentrum werde einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Nahrungsmittelkrise leisten, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar bei der Eröffnungszeremonie. Derzeit liefen noch Vorbereitungen, damit das erste mit Getreide beladene Schiff die Ukraine verlassen könne.

Ein diplomatischer Durchbruch im Krieg – sofern sich Russland an den Plan hält. Die Zweifel bleiben. Gestern warnte der russische Außenminister Andrej Rudenko: Sollten nicht auch die Hindernisse zum Export von russischem Getreide schnell beseitigt werden, würde das Abkommen scheitern. Die westlichen Sanktionen würden die Ausfuhr von Lebensmittel und Dünger aus Russland behindern, russische Schiffe könnten nicht mehr in europäischen Häfen anlegen.

„Das ist an den Haaren herbeigezogen“, sagt Francisco Marí, Experte für Welternährung und Agarhandel bei „Brot für die Welt“, unserer Zeitung. „Beim Getreide-Export aus Russland ist aktuell alles möglich: Es gab klare Signale an die Reeder und an die Versicherungen, dass sie russische Häfen anfahren können. Und vor allem griechische Schiffe werden das auch tun.“ Putin nutze den Hunger als Waffe. „Wenn der Deal platzt, bedeutet das für Länder wie Ägypten eine Katastrophe“, sagt Marí. In Afrika und im Nahen Osten droht die größte Hungerkrise der vergangenen Jahrzehnte.

Der Getreide-Deal solle aber nicht überschätzt werden im Kampf gegen die Lebensmittelknappheit, sagt Marí. „Wenn alles klappt, könnte sich die Situation in manchen Ländern etwas entspannen. Aber die Getreidepreise bleiben hoch, allein wegen der gestiegenen Transportkosten.“ Von Hunger bedrohte Staaten hätten in erster Linie kein Mengenproblem. „Weltweit haben die Menschen mit steigenden Kosten zu kämpfen, und daran kann das Abkommen auch nichts ändern.“

Theoretisch könnte der Westen auch für die ausbleibenden Exporte einspringen, meint der Agrar-Experte – doch die Bereitschaft dazu fehle. „Die G7-Staaten produzieren zusammen mehr Getreide als Russland und die Ukraine, aber wir verfüttern und verheizen das meiste.“ 60 Prozent des Getreides in Deutschland lande im Futtertrog. „Wir sprechen darüber, kürzer zu duschen – aber Schnitzel geht schon.“

Reiche Industrieländer müssten nicht nur deutlich mehr Geld in Nothilfen stecken, sondern auch die eigenen Weizenbestände gerechter verteilen, fordert „Brot für die Welt“. Dem Welternährungsprogramm zufolge sind aktuell 345 Millionen Menschen akut von Nahrungsmittelknappheit bedroht. Marí meint: Die eigenen Getreidelager aufzufüllen, würde nicht nur den Hunger lindern – sondern auch Putin unter Druck setzen.  (mit dpa/epd

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