Wie die AOK Betrüger jagt

von Redaktion

27,9 Millionen Euro Schaden in 2020/21 aufgedeckt – Dunkelziffer bedeutend höher

München – Der Zahnarzt lenkte den Verdacht letztlich selbst auf sich. Immer wieder fragte er bei verschiedenen Krankenkassen nach, ob seine angeblichen Patienten dort immer noch versichert seien – und reichte daraufhin Abrechnungen für Behandlungen von Menschen aus ganz Deutschland ein. Das fiel auf. Die Fehlverhaltensstelle der AOK Bayern klemmte sich dahinter. Am Ende kam heraus: Mit Falschabrechnungen hatte der Zahnarzt mehr als drei Millionen Euro ergaunert.

Es ist nur einer von vielen Fällen, denen das zehnköpfige Team um Dominik Schirmer nachgeht. Etwa sechs Mal am Tag landen Sachverhalte auf ihren Schreibtischen, bei denen AOK-Mitarbeitern etwas seltsam vorkommt. Es geht um Abrechnungsbetrug, Korruption, Bestechung oder Bestechlichkeit – aber auch um unabsichtliches Fehlverhalten. Die Grenzen sind nicht selten fließend. Und eine Strafverfolgungsbehörde ist die AOK-Stelle nicht. Sie arbeitet aber eng mit den zuständigen Behörden zusammen.

In den Jahren 2020 und 2021 stellte die Fehlverhaltensstelle in ihren Untersuchungen einen Gesamtschaden von 27,9 Millionen Euro fest. Damit hat sich die Schadenssumme zum Vergleichszeitraum 2018/19 mehr als verdoppelt – obwohl die Zahl der entdeckten Fälle wegen der eingeschränkten Kontrollen in Pandemiezeiten zurückgegangen ist. „Wir beobachten, dass Betrüger immer professioneller vorgehen“, sagt Schirmer. Deshalb müssten auch die Krankenkassen mitziehen – und digital aufrüsten, Mit künstlicher Intelligenz könnten kassenübergreifend Datenbestände auf Auffälligkeiten untersucht werden. Doch dafür müsste der Gesetzgeber erst rechtliche Grundlagen schaffen. Auch müsse besonders die Pflege verpflichtet werden, digital abzurechnen, fordert Schirmer. Denn hier ist oft immer noch Papier der Standard. Was die Kontrolle von Rechnungen und Dienstplänen per Hand besonders schwierig mache.

Tatsächlich dürfte die Dunkelziffer weit höher liegen als die erfassten Zahlen. „Wir wissen, dass wir an der Oberfläche kratzen“, sagt Frank Firsching, Verwaltungsratsvorsitzender der AOK Bayern. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schätze den Gesamtschaden an allen deutschen Kassen durch Fehlverhalten und Betrug auf 17 bis 18 Milliarden Euro jährlich. Doch auch diese Schätzung beruht allein auf Erkenntnissen aus internationalen Forschungen. AOK-Bayern-Chefin Irmgard Stippler ist deshalb der Meinung, dass es dazu in naher Zukunft auch eine deutsche Erhebung bräuchte.

Stippler erkennt darüber hinaus weiteren Handlungsbedarf. „Zur Betrugsprävention fordern wir schon seit Jahren eine bundesweite Datenbank, die Betrugsfälle personenbezogen speichert“, ,sagt sie. Zum Beispiel müssten Mitarbeiter in der Pflege, die bereits wegen Abrechnungsbetrugs verurteilt wurden, bundesweit erfasst werden. Bisher könnten sie einfach ein Bundesland weiterziehen und dort eine Zulassung für einen neuen Pflegedienst beantragen.

Gleichzeitig betont Stippler, dass es ihr nicht um einen „Generalverdacht“ gehe. Doch die Minderheit, die den eigenen Berufsstand in Verruf bringe, müsse aufgespürt und zur Rechenschaft gezogen werden. Nicht zuletzt, um die Patienten zu schützen. SEBASTIAN HORSCH

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