„Der Preis zwingt zum Gassparen“

von Redaktion

Klaus Müller steht plötzlich im Rampenlicht. Der 51-Jährige leitet die Bundesnetzagentur in Bonn, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums die deutschen Netze für Strom, Gas und Telekommunikation reguliert. Zuvor war Müller Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und von 2000 bis 2005 grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein.

Etwa ein Viertel des hiesigen Gasverbrauchs kam Anfang der Woche aus Russland, mittlerweile vielleicht noch 15 Prozent. Auf diese überschaubare Menge können wir doch verzichten, ohne dass hier alles zusammenbricht?

Nein, das schätzen wir anders ein. Der komplette Ausfall der russischen Lieferungen würde Deutschland vor gravierende Probleme stellen. Wir sollten uns nicht täuschen. Der Sommer ist warm, augenblicklich wird wenig Gas verbraucht, Unternehmen und Privathaushalte sparen schon gewisse Mengen. Aber kältere Temperaturen können das schnell ändern.

Gazprom halbierte am Mittwoch den Gasfluss durch Nord Stream 1, kündigte aber größere Lieferungen über die Slowakei an. Wie sieht es damit aus?

Dabei handelte es sich erst mal nur um Ankündigungen. In den Leitungen sahen wir das am Donnerstagvormittag noch nicht. Sollte es allerdings eintreten, wäre es bemerkenswert. Denn früher hat Gazprom Reduzierungen in einer Pipeline nicht an anderer Stelle kompensiert.

Angenommen, die reduzierte Menge fließt weiter – kommen wir damit halbwegs durch den Winter?

Das würde schon sehr, sehr eng. Mit der 40-prozentigen Auslastung von Nord Stream 1 wie Anfang Juli kämen wir nach unseren Berechnungen einigermaßen zurecht. Voraussetzung: Wirtschaft und Haushalte sparen selbstständig etwa ein Fünftel ihres Gaskonsums ein, der Winter wird nur durchschnittlich kalt, und unsere Nachbarn brauchen keine unerwartete Hilfe. Zur Not können wir auch mit einer halbierten Gasmenge aus Russland unsere Speicher noch etwas weiter auffüllen.

Lange dauert es nicht mehr, dann kann Deutschland zusätzliches Flüssiggas über die neuen schwimmenden Häfen importieren. Die Rettung?

Das ist ein gewisser Ausgleich, aber „Rettung“ wäre zu viel gesagt. Die ersten Importterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel stehen wohl frühestens zum Jahreswechsel 2022/23 zur Verfügung und tragen dann zur Versorgung bei. Erst für den Winter 2023/24 werden diese und wohl sogar drei weitere Anlagen eine umfassende Entlastung bringen.

Ab Oktober starten die Auktionen, mit denen die Firmen freiwillig und bezahlt auf Gasmengen verzichten können.

Wir hoffen, die Gasmangellage damit hinauszuzögern oder zu vermeiden. Allerdings haben wir keine Erfahrung mit diesem neuen Instrument. Wir wissen einfach nicht, auf welche Gasmengen einzelne Unternehmen verzichten, um sie anderen zur Verfügung zu stellen.

Was würde passieren, wenn gar kein Gas mehr durch Nord Stream 1 strömte – müssen sich die Verbraucher in Bayern besondere Sorgen machen?

Solche Sorgen wurden geäußert, weil die Pipelines in Nordrhein-Westfalen, sowie im Norden und Osten ankommen. Allerdings strömt ein großer Teil des Gases von Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern ohnehin über Tschechien nach Waidhaus in Bayern. Außerdem arbeiten wir an zusätzlichen Liefermöglichkeiten. Mit Frankreich wollen wir beispielsweise klären, ob ein zusätzlicher Eintrittspunkt im Saarland geschaffen werden kann. Und wir befüllen zielgenau Speicher im Süden.

Haben Sie einen Plan, welche Unternehmen als Erste weniger oder kein Gas mehr bekämen?

Die Bundesnetzagentur entscheidet erst, wenn die Bundesregierung per Verordnung eine Gasmangelnotlage ausruft. Mit den aktuell verfügbaren Tools und Daten würden wir dann in der von einer Notlage betroffenen Region das Gros der Letztverbraucher zu einer ratierlichen Verbrauchssenkung, also um einen gewissen Prozentwert des regulären Verbrauchs, auffordern. Bis voraussichtlich Oktober bauen wir eine Datenplattform auf, aus der wir ablesen können, wer wie viel Gas verbraucht und welche betriebs-, volkswirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen eine Einschränkung des Gasbezugs hätte. Hierdurch können wir für die großen Letztverbraucher zielgenaue Aufforderungen erlassen, welche die ratierlichen Vorgaben dort ersetzen. Wichtig ist das zum Beispiel, weil Anlagen in der Keramikindustrie zerstört werden, wenn dort nicht mehr genug Brennstoff ankommt.

Kann die Bundesregierung den Verbrauch der Privathaushalte einschränken?

Nach europäischem Recht sind im Falle einer Gasmangellage zuerst Industriebetriebe abzuschalten. Privathaushalte, Krankenhäuser, Schulen oder Pflegeheime sind dagegen besonders geschützt. Es gibt aber kein Recht darauf, Gas beliebig zu verschwenden. Ich glaube, dass der Preis mit seiner unsozialen Härte die wirkungsvollste Maßnahme sein wird, damit auch die Privathaushalte Gas sparen.

Wäre denn im Notfall eine Festlegung auf beispielsweise 19 Grad als maximale Raumtemperatur für Privatwohnungen möglich?

Eine verordnete Senkung der Raumtemperatur kann nicht kontrolliert werden. Aber es gilt der deutliche Appell, dass jede und jeder im Familienrat überlegen möge, wie jetzt schon Gas eingespart werden kann.

Für viele Privathaushalte haben sich die Gaskosten im Vergleich zum Vorjahr bis jetzt verdoppelt. Eine Verdreifachung bis 2023 ist nicht ausgeschlossen. Wie können Haushalte mit niedrigem Einkommen diese Belastung stemmen?

Die Bundesregierung hat eine Wohngeldreform mit einem integrierten Heizkostenzuschuss angekündigt. Das zielt in diese Richtung. Aber zur Wahrheit gehört, dass wir die Belastung nicht für alle Menschen in Deutschland auffangen können. Ich finde es sozial fair, sich auf bedürftige Haushalte zu konzentrieren.

Interview: Hannes Koch und Wolfgang Mulke

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