Kritik an Lauterbachs Impfstoff-Bestellung

von Redaktion

Während die Bundesregierung im großen Stil neue Vakzine ordert, müssen Millionen alte Dosen vernichtet werden

München – Differenzen mit Andreas Gassen sind für Karl Lauterbach nichts Neues mehr. Erst vor zwei Wochen hatte sich der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für eine Aufhebung der Corona-Isolationspflicht ausgesprochen und damit eine Debatte ausgelöst, die bis jetzt nicht zur Ruhe gekommen ist. Auch eine zweite Booster-Impfung sieht er skeptisch. Sehr zum Missfallen des Gesundheitsministers, für den auch vor dem dritten Pandemieherbst Vorsicht oberste Priorität hat.

Nun muss sich Lauterbach abermals über Gassen ärgern. Es geht um die Impfstoffbestellungen des Ministers. Die seien überdimensioniert, klagte der KBV-Chef jüngst in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Angeblich seien über 200 Millionen Dosen bestellt worden, eine solche Menge dürfte „beim besten Willen nicht an den Mann und die Frau zu bringen sein“. Sein Verband hatte den Bedarf kalkuliert und kam auf knapp 30 Millionen. Gassen fürchtet, „dass Impfstoff im Wert von möglicherweise hundert Millionen Euro oder mehr weggeworfen werden muss“.

Die Debatte ist schon deshalb brisant, weil der Bund zuletzt tatsächlich im großen Stil Vakzine vernichten musste. 3,9 Millionen Dosen des US-Herstellers Moderna seien zwischen Dezember 2021 und Ende Juni verfallen, teilte das Gesundheitsministerium mit. Das Interesse in der Bevölkerung ist aktuell gering, am Mittwoch wurden lediglich 48 000 Impfungen verabreicht. Dem stehen laut Ministerium 134,3 Millionen Dosen gegenüber, die bis Ende Juni bestellt wurden.

Ehrgeizig ist diese Kalkulation auf jeden Fall. Lauterbach wehrt sich trotzdem gegen den Vorwurf, es bei der Vorbereitung auf Herbst und Winter zu übertreiben. Er argumentiert, dass angesichts der Omikron-Varianten, die bereits im Umlauf sind, und potenziell noch folgenden nicht abzusehen sei, welches Vakzin benötigt werde. „Wir haben so eingekauft, dass wir auf jeden Fall den Impfstoff, der dann der beste sein wird, jedem anbieten können“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Zu viel Impfstoff zu haben, ist für den Bund nicht neu. Mehr als 118 Millionen Dosen seien bereits gespendet worden, um Impfkampagnen in 45 Ländern zu unterstützen, bestätigte das Gesundheitsministerium. Doch diese Option bietet sich aktuell nicht. Grünen-Gesundheitspolitikerin Paula Piechotta verwies jetzt darauf, dass derzeit „kaum ein Land mehr gespendeten Impfstoff abnimmt“, weswegen es „keine sinnvolle Verwendung mehr für Überschüsse“ gebe.

Auch Lauterbachs Ministerium hatte zuletzt bestätigt, dass internationale Hilfsinitiativen wie Covax momentan kein Abnehmer für Impfstoffe seien. Eine Sprecherin begründete das damit, dass „das globale Impfstoffangebot derzeit bei Weitem die Nachfrage übersteigt“. Grund ist weniger eine nachlassende Impfbereitschaft in ärmeren Ländern als logistische Probleme, von Personalmangel bis zur Kühlkette, die bei den mRNA-Vakzinen nicht unterbrochen werden darf.

Sogar in der Koalition sind die Impfbestellungen inzwischen ein sensibles Thema. Piechotta mahnt, angesichts der vielen Krisen müsse der Bund „wieder umsichtiger mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umgehen“. Lauterbach solle deshalb „stärker an der tatsächlichen Nachfrage orientiert einkaufen“. MARC BEYER

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