München – Der große Stammstrecken-Gipfel ist gerade vorbei, die Politiker ziehen murrend davon, der Bahn-Chef wischt sich den Schweiß von der Stirn – da will Markus Söder noch was sagen. An die „kleineren Parteien“ wendet er sich. „Die Alternative ,Zuschütten‘ ist die denkbar schlechteste“, sagt er, keiner dürfe die Nerven verlieren, keiner solle „kreischen“.
Es klingt, als würde der väterliche Rat jene Kleinparteien im Münchner Stadtrat meinen, die immer schon gegen die zweite Röhre waren. Doch Söders Ansage gilt auch einer gar nicht so kleinen Partei – seinem Koalitionspartner. Nur mit Mühe und vereinten Kräften haben CSU und Kommunalpolitiker der Freien Wähler den Vize-Ministerpräsidenten vorerst besänftigt. Es war Hubert Aiwanger, der in einer internen Kabinettssitzung im Juli zornig von „Zuschütten“ und „Notbremse“ gesprochen hatte. Der Wirtschaftsminister, Landes- und Bundes-Chef der FW, war höchst verärgert über die Kostenexplosion auf 7,2 Milliarden Euro und die Verschiebung auf 2037.
Noch im Kabinett hatten CSU-Minister sehr energisch Aiwanger widersprochen. Söder selbst warf ihm vor, die Regierung massiv zu belasten („eine Hypothek“). In der Tat: Ein Nein der Freien Wähler zu Bayerns größtem Bauprojekt würde die Koalition sprengen. Die Sorge in der CSU war groß, ob Aiwanger außerhalb des Ballungsraums Stimmung macht gegen ein Münchner „Milliardengrab“, das den ländlichen Regionen Geld für Verkehrsprojekte nehme. Der ländliche Raum ist für die FW wahltaktisch enorm wichtig, viel mehr als jede Stadt. 2023 ist Wahl.
Emotional dürfte das nahe-liegen. Etliche FW-Landespolitiker sind stocksauer, dass sie von der CSU keinen Pieps von exorbitanten Mehrkosten erfuhren. Söder las seit 2020 in Vermerken seiner Minister davon – Aiwanger neulich in der Zeitung. Hinter vorgehaltener Hand schimpfen mehrere FW-Abgeordnete darüber. „Unprofessionell“ und „unkollegial“ sind noch die mildesten Begriffe.
Für das Projekt ist das heikel, denn die Freien Wähler sehen sich in keiner Koalitionspflicht. Der Stammstrecken-Beschluss fiel in der Zeit einer CSU-FDP-Koalition, die Freien Wähler waren in der Opposition und mäßig begeistert. Auch jetzt, so schätzen Kenner die Stimmung unter den Abgeordneten ein, gibt es keine beinharten Gegner der Röhre, aber außerhalb Oberbayerns auch keine großen Fans. „Wir lassen uns die Probleme mit dem Ding nicht ans Bein binden“, sagt einer.
Hinter den Kulissen wurde bei CSU und FW emsig telefoniert. CSU-Verkehrsminister Christian Bernreiter musste Mitte Juli in der FW-Fraktion vorsprechen. Sehr überzeugend soll er nicht gewirkt haben, aber zumindest besänftigend. Söders Kniff: Er holte mehrere Landräte der Freien Wähler zum Stammstrecken-Gipfel am Mittwoch dazu. Aus Tölz, aus Garmisch, denen die München-Einpendler am Herz liegen, sogar den Landshuter FW-Landrat Peter Dreier, der energisch für den Tunnel stritt. Auch Söder ließ beiläufig fallen, wie wichtig das Münchner Projekt für Pendler aus Niederbayern – Aiwangers Heimat – sei.
Aiwanger trat in der Runde dann, so schildern Ohrenzeugen, sehr konstruktiv auf, stellte die Röhre mit keinem Wort infrage. Man müsse alles klug zusammenhalten, wird er zitiert. Wenig später schob er allerdings eine Presseerklärung nach, die weniger versöhnlich klingt: Die Kostenexplosion sei „schockierend“. Es dürfe nun „nichts zu Lasten des ländlichen Raums gehen“.