Rom – Es ist bekannt, dass der Kreml den Ausgang von Parlamentswahlen in westlichen Ländern zu beeinflussen versucht. Nun, da mit dem Sturz der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi der Wahlkampf in Italien begonnen hat, sind in Rom viele Augen auf Moskau gerichtet. Welche Rolle spielte Russland beim Sturz der Regierung Draghi und wie versucht der Kreml die Wahlen zu seinen Gunsten zu beeinflussen? So lauten aktuelle Fragen in Rom.
Eine Antwort war am Freitag in der Tageszeitung „La Repubblica zu lesen. Unter dem Titel „Die Waffe Migration“ konnten die Leser eine beunruhigende Rekonstruktion der jüngsten Migrationsbewegungen über das Mittelmeer nachvollziehen. Die These: Russland hat großen Einfluss in Nordlibyen und provoziert in diesen Wochen Migranten-Überfahrten, um die politische Situation in Italien und in der EU zu destabilisieren.
Noch sind die Zahlen nicht beunruhigend. In den vergangenen Tagen landeten mehrere hundert Migranten an der Küste Siziliens. Die deutsche Hilfsorganisation „Sea Watch“ legte mit 439 Migranten im Hafen von Taranto an. Seit Jahresbeginn kamen an den italienischen Küsten bislang knapp 40 000 Migranten an. Zum selben Zeitraum des Vorjahres ist das eine Steigerung, bis Juli 2021 waren es 27 771 Flüchtende, im Pandemie-Jahr 2020 wurden gar nur 12 999 gezählt.
Informationen italienischer Sicherheitskräfte zufolge, auf die sich „La Repubblica“ beruft, ist der Anstieg der Überfahrten von politischen Interessen gesteuert. Er stelle eine auf den Wahlkampf gerichtete „Kanone“ dar, wie die Zeitung einen Sicherheitsfunktionär zitiert. „Die Einwanderung ist vielleicht die stärkste Waffe für diejenigen, die ein Interesse daran haben, die Wahl im September zu destabilisieren und sich somit einzumischen“, behauptet die Quelle.
Involviert soll das russische private Militärunternehmen Wagner-Gruppe sein, eine vom Kreml gesteuerte, besonders skrupellose Söldnertruppe. Die Gruppe kämpft in der Ostukraine und war bereits in Syrien, Mosambik, Sudan und in Libyen aktiv. Dort ist die Gruppe seit 2019 für General Chalifa Haftar tätig, der damals die von den Vereinten Nationen unterstützte Regierung in Tripolis bekämpfte. Haftar kontrolliert den Osten des Landes, darunter auch einige Häfen im Norden Libyens. Wie es heißt, könnte die Wagner-Gruppe mit rund 2000 Mitgliedern dort die Migranten-Ströme steuern.
Italienische Sicherheitsdienste warnen seit Wochen, dass Küstenabschnitte nahe der Häfen Derna und Tobruk als neue „Verteilungszentren“ von Migranten benutzt werden. „Der Wasserhahn ist aufgedreht“, schreibt „La Repubblica“. Zudem üben Wagner und Haftar Kontrolle über die enormen Öl- und Gasreserven in Libyen aus, die von Interesse für die EU sind. Die Frage ist nun, wem die Manöver nützen oder schaden könnten. Allen Umfragen zufolge werden die rechtspopulistischen Parteien in Italien am 25. September die Wahlsieger sein. Giorgia Meloni und ihre postfaschistische Partei „Fratelli d’Italia“ liegen vorne. Meloni versprach allerdings gerade „absolute Unterstützung für den heroischen Kampf des ukrainischen Volkes“.
Der Kreml könnte also einem alten Freund wie Ex-Innenminister Matteo Salvini (Lega) und seinen Polemiken gegen illegale Migration zu Hilfe eilen. Salvini ist bestens vernetzt nach Moskau. Auch Ex-Premier Silvio Berlusconi, der an der kommenden Regierung beteiligt sein könnte und lange einen engen Draht zu Wladimir Putin hatte, gerät wegen seiner Telefonate mit der russischen Botschaft ins Rampenlicht. In den Tagen des Sturzes der Regierung Draghi stand Berlusconi nach eigenen Angaben in engem Austausch mit der Moskauer Vertretung in Rom.
Ein Zufall, dass ausgerechnet die drei eher russlandfreundlichen Kräfte in der italienischen Politik den Sturz Draghis provozierten? Für die These, dass der Kreml seine Hände auch bei dieser politischen Operation im Spiel hatte, gibt es keine Beweise.