Impfstoffe schneller zulassen?

von Redaktion

VON GISELA GROSS

Berlin – Das Coronavirus mutiert und mutiert. Aber die vorhandenen Impfstoffe sind unverändert geblieben: Sie zielen ab auf Sars-CoV-2, wie es sich zu Beginn der Pandemie ausbreitete. Erste an die Omikron-Variante angepasste Vakzine befinden sich zurzeit in der Entwicklung und könnten im Herbst verfügbar sein. Die große Frage ist aber: Gibt Omikron mit den bekannten Sublinien wie BA.1, BA.4 und BA.5 dann überhaupt noch den Ton an? Oder ist bis dahin eine alte Variante zurückgekehrt oder eine neue aufgekommen? Dann könnte das Virus den Impfschutz unterlaufen, viel mehr Menschen würden in der Folge schwerer erkranken. Eine Horrorvorstellung.

Angesichts des Wettrennens zwischen Virus und Impfstoffen wird in Fachkreisen nun diskutiert, ob nicht das Zulassungsprozedere beschleunigt werden sollte. Biontech-Chef Ugur Sahin ist dafür, wie er kürzlich der „Financial Times“ sagte. Er sprach von vier Monaten Zeitvorteil durch ein Verfahren ohne zusätzliche klinische Studien, also beim Menschen.

So läuft es auch bei der alljährlichen Grippeimpfung: Vor der Zulassung der jährlich aktualisierten Vakzine müssen keine klinischen Daten vorgelegt werden. Die für die Zulassung in Europa zuständige Arzneimittelbehörde EMA hat erst vor einigen Wochen signalisiert, dass sie sich so ein Verfahren auch bei der Anpassung des Corona-Impfstoffs vorstellen könne. Auch Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, hält diesen Weg für sinnvoll. Das müsse nicht unbedingt schon in diesem Herbst sein. Aber: „Man könnte mit dem ersten angepassten Impfstoff nun einmal modellhaft zeigen, dass alles gut geht. Und dann in kommenden Saisons ein schnelleres Verfahren wählen.“

Klinische Daten vorliegen zu haben klinge zwar schön, sagt Watzl, die Aussagekraft sei aber begrenzt. Sie lieferten lediglich Informationen über Antikörperspiegel und ansatzweise über Impfreaktionen. Für die Sicherheit seien die Daten quasi irrelevant, weil sehr seltene Nebenwirkungen angesichts niedriger Probandenzahlen nicht aufgespürt werden könnten.

Der Präsident der Gesellschaft für Virologie, Ralf Bartenschlager, zeigt sich allerdings eher skeptisch, ob die momentane Situation mehr Tempo bei der Zulassung erfordert. „Die schon vorhandenen Impfstoffe schützen vor schwerer Erkrankung auch bei den bisherigen Omikron-Varianten, die verglichen mit früheren Varianten weniger pathogen sind.“

Es sei sinnvoll, diese Impfstoffe auch weiterhin in Studien am Menschen zu prüfen. „Man sollte auch bei den angepassten Omikron-Impfstoffen prüfen, wie sich die neuen Impf-Antigene bei Geimpften und Genesenen verhalten. Jedes neue Antigen könnte in gewissem Maße unerwartete Reaktionen wie etwa eine überschießende Immunantwort verursachen“, sagt Bartenschlager.

Grundsätzlich stimmt Watzl dieser Überlegung zu, er schränkt aber ein: Solche unerwarteten Reaktionen seien selten und würden auch in klinischen Studien wegen der geringen Probandenzahl nie auffallen. Klar ist: Sollte es zu einem vereinfachten Zulassungsverfahren kommen, so halten Fachleute eine gute Kommunikationsstrategie für unerlässlich. Insbesondere angesichts der schon laufenden Debatte um Impfreaktionen und -nebenwirkungen sieht etwa Bartenschlager die Gefahr, dass eine Zulassung ohne Vorlage klinischer Studien von der Öffentlichkeit noch kritischer aufgefasst würde. Es könnte als Einknicken vor der Pharmaindustrie empfunden werden.

Markus Schäfer, Experte für Gesundheitskommunikation von der Uni Mainz, erwartet hingegen nicht, dass ein vereinfachtes Verfahren die Akzeptanz wesentlich beeinflussen würde. „Man muss sicher damit rechnen, dass manche Medien einen solchen Schritt, falls er denn kommt, skandalisieren. Umfragen legen aber nahe, dass die meisten Menschen sich nicht in hohem Detailgrad über komplexe Zusammenhänge wie ein Zulassungsverfahren informieren.“ Worauf die meisten Menschen Wert legten, seien die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko).

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