London – Ein bisschen wirkt die neueste Ankündigung von Rishi Sunak wie eine Verzweiflungstat. Wenn er zum Nachfolger des britischen Premierministers Boris Johnson gewählt wird, werde er die Einkommensteuer in den kommenden Jahren deutlich senken, verspricht der frühere Finanzminister. Für seine Konservative Partei, für die Steuersenkungen zum Parteikern gehören, ist solch eine Ankündigung eigentlich ein guter Köder. Doch in diesem Fall, so die einhellige erste Einschätzung, dürfte Sunaks Vorstoß verpuffen.
Seine Kontrahentin Liz Truss ist Sunak in den Umfragen weit voraus – und macht zudem in der Steuerpolitik weitreichendere Versprechen. „Liz wird die Steuern in sieben Wochen senken, nicht in sieben Jahren“, betont ihr Unterstützer Simon Clarke, seines Zeichens zweitwichtigster Mensch im Finanzministerium. Die Außenministerin hat zehn Kabinettsmitglieder hinter sich, darunter Schwergewichte wie Verteidigungsminister Ben Wallace und den neuen Finanzminister Nadhim Zahawi. Sunak kann nur auf drei Minister bauen.
Seit Wochen bekriegen sich die Kandidatinnen und Kandidaten für die Johnson-Nachfolge. Am Wochenende griff Truss-Unterstützerin Nadine Dorries ihren Parteifreund Sunak vehement an. Er sei ein „Attentäter“, der den beliebten Premier Johnson auf dem Gewissen habe, schrieb die Kulturministerin in der Zeitung „Mail on Sunday“. Opposition und Bevölkerung schauen dem brutalen Treiben teils erheitert, teils angewidert zu.
Die Wahl hat nur ein kleiner Kreis. Mindestens 160 000 Parteimitglieder bedeuten rund 0,3 Prozent der gesamten Wählerschaft von etwa 47,5 Millionen. Seit Montag trudeln die Wahlunterlagen ein. Da auch online gewählt werden darf, könnten die ersten Stimmen bereits abgeschickt worden sein. Das erhöht vor allem den Druck auf den 42-jährigen Sunak, da viele Tory-Mitglieder traditionell früh eine Entscheidung treffen.
Noch gibt sich das Sunak-Lager kämpferisch. Sein Unterstützer Mel Stride verwies auf eine Umfrage für die Zeitung „Sunday Times“, laut der Sunaks Rückstand auf Truss bei konservativen Gemeinderäten nur zwei Punkte betrage – und ein Drittel noch unentschieden sei.
Mit Vollspeed reist Rishi Sunak durchs Land, jede Woche will er über 5000 Parteimitglieder erreichen. Seine Hoffnung: Bis die Annahme der Stimmzettel am 2. September endet, ist noch viel Zeit.
Doch was Sunak Mut macht, ist für das Land keine besonders vielversprechende Aussicht. Schon jetzt feuern die beiden Kandidaten täglich neue Versprechen ab. Bei Truss war es am Montag die Ankündigung, „die britische Landwirtschaft zu entfesseln, um die Ernährungssicherheit zu verbessern“. Auf die Ankündigung der einen folgt schnell ein Konter des anderen und andersrum. Gegenseitige Vorwürfe inklusive.
Dazu kommen mehrere Wahlkampfveranstaltungen im ganzen Land, sogenannte Hustings, bei denen Sunak und Truss sich den Fragen der Parteibasis stellen. Außerdem steht noch mindestens ein TV-Duell an diesem Donnerstag an, es dürfte nicht das letzte sein.
Der Kampf der Tories lähmt das Land. Dabei sind in vielen Bereichen schnelle Entscheidungen dringend notwendig. Beispiel: Energie. Millionen Menschen fragen sich, wie sie angesichts explodierender Kosten für Strom und Gas ihre Rechnungen zahlen sollen. Die Regierung hat zwar einen Zuschuss von 400 Pfund je Haushalt abgesegnet. Doch das war im Frühling. Neue Unterstützung könnte erst kommen, wenn am 5. September die Siegerin oder der Sieger der Tory-Wahl feststeht.