München – Es gibt einen gemeinsamen Gegner an diesem Nachmittag in Essenbach, da sind sich Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) einig. Es habe sich die „Unwahrheit“ verbreitet, dass die Bevölkerung gegen eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke sei, sagt Bayerns Ministerpräsident nach einem Besuch im Kernkraftwerk Isar 2. „In Wahrheit gibt es nur einen Streit innerhalb einer Partei, nämlich bei den Grünen.“ Merz springt ihm bei: Deutschland gerate in eine Krise, die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zwar „rhetorisch glänzend beschreibt“. „Aber die Beschreibung einer Krise ist ja noch nicht die Lösung des Problems“, stichelt er.
Die Lösung laute stattdessen: Deutschlands verbliebene Atommeiler länger am Netz lassen. Für diese Botschaft haben die beiden Parteichefs einen Rundgang durch den bayerischen Meiler gemacht, der eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden soll. „Das hat uns genau die Information gebracht, die wir uns erhofft haben“, sagt Söder. „Ein Weiterbetrieb ist möglich.“ Isar 2 sei „eines der modernsten Kernkraftwerke der Welt“, meint auch Merz. Die Bundesregierung müsse sich jetzt, noch während der Sommerpause, für eine Laufzeitverlängerung entscheiden. „Im September wird es kritisch, an Weihnachten unmöglich.“
Zwölf bis 15 Monate dauere die Bestellzeit für Brennstäbe, sagt Merz. „Wenn es schnell gehen müsste, vielleicht neun.“ Frühestens im April könnten also neue Brennstäbe da sein, wenn die Ampel jetzt handelt. „Jeder Tag länger ist fahrlässig“, mahnt Söder. In der Bevölkerung gibt es wohl eine Mehrheit dafür: Laut Deutschlandtrend sind 41 Prozent der Befragten für eine Verlängerung um einige Monate, weitere 41 Prozent sogar für eine längerfristige Nutzung der AKW. Lediglich 15 Prozent lehnen beides ab.
Um Gas zu sparen, drängen nun mehrere EU-Staaten auf den Weiterbetrieb der deutschen Atommeiler. Denn etwa 15 Prozent des Stroms wird in Deutschland von Gaskraftwerken erzeugt. Olaf Scholz (SPD) schließt einen Streckbetrieb grundsätzlich nicht aus – das würde einen Weiterbetrieb der letzten drei AKW für wenige Monate bedeuten. Man müsse aber erst die Ergebnisse eines „sehr strengen“ Stresstests abwarten. Söder und Merz reicht das nicht. Sie wollen die Meiler „mindestens bis 2024“ weiterlaufen lassen. In Schweden, Kanada und in den USA gebe es genug Brennstäbe dafür.
SPD und Grüne werfen den Oppositionschefs eine Show vor. „Es stellt sich die Frage, was Markus Söder und Friedrich Merz mit diesem Termin bezwecken – oder wollten sie etwa heute höchstpersönlich die Sicherheitsüberprüfung vornehmen?“, kritisiert Martin Stümpfig, energiepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen. „Dieser völlig überflüssige Besuch wird keinerlei Auswirkung auf die Entscheidung des Bundes haben.“ Der bayerische SPD-Fraktionsvize Florian von Brunn nennt Merz und Söder „energiepolitische Versager“. Söder habe in Bayern nicht nur die Energiewende ausgebremst, sondern auch den Bau der Stromleitungen jahrelang verzögert und verhindert. Merz habe noch vor vier Monaten einen Gasboykott aus Russland gefordert – „er wollte Deutschland und Bayern offenbar an die Wand fahren!“ Es gebe auch keine „fundierte Bewertung“ über die Sicherheit von Isar 2.
Söder und Merz berufen sich auf ein Gutachten des TÜV Süd – demnach sei ein Betrieb über den 31. Dezember 2022 hinaus auch sicherheitstechnisch möglich. Die SPD zweifelt an der Unabhängigkeit der Gutachter, ein Hamburger Anwalt von Greenpeace spricht von einem „Gefälligkeitsgutachten“. „Dieser Anwalt war noch nie hier im Kraftwerk“, sagt Söder. Das kann man ihm und Merz immerhin nicht mehr vorwerfen.