Peking – Seit Jahrzehnten zählt der Konflikt um Taiwan zu den gefährlichsten der Welt. Die jüngsten und seit Langem größten chinesischen Manövern rund um die demokratische Inselrepublik erhöhen das Risiko jetzt noch einmal. Einhellig warnten gestern Politiker aus Europa, Asien und Amerika vor einer Eskalation. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zöge zwangsläufig auch die USA in den Konflikt hinein – und hätte katastrophale wirtschaftliche Folgen.
Nach dem Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan sind seit gestern die Manöver in sechs Gebieten rund um die Inselrepublik in vollem Gange. Dabei wurden nach chinesischen Angaben auch Raketen für „Präzisionsschläge“ abgefeuert. In der Meerenge der Taiwanstraße, die Taiwan vom Festland trennt, sowie östlich der Insel wurden weit reichende Geschosse abgefeuert, wie das Militärkommando der Volksbefreiungsarmee mitteilte. „Alle Raketen haben ihre Ziele genau getroffen“, sagte ein Sprecher. Nach Angaben Taiwans hat China auch Raketen vom Typ „Dongfeng“ (Ostwind) im Einsatz. Die taiwanischen Streitkräfte sind in Kampfbereitschaft. Das Verteidigungsministerium in Taipeh erklärte, alle sechs Manövergebiete würden überwacht.
Laut Japan seien auch fünf chinesische Raketengeschosse während des Manövers in Japans ausschließlicher Wirtschaftszone (AWZ) niedergegangen. „Dies ist eine ernste Angelegenheit, die die nationale Sicherheit unseres Landes und die Sicherheit der Menschen betrifft“, sagte Verteidigungsminister Nobuo Kishi. Es sei das erste Mal, dass eine chinesische Rakete in japanischen AWZ-Gewässern niedergegangen sei.
Die größte Gefahr geht momentan von „Fehlkalkulationen“ und ungewollten Zwischenfällen aus, da sich zwei hochgerüstete Armeen in aufgeheiztem Klima so nahe kommen wie noch nie. Aber: Auch wenn der Zweck der chinesischen Übungen eine See- und Luftblockade sowie Vorbereitungen zur Eroberung sind: Niemand geht davon aus, dass China sein Ziel tatsächlich jetzt schon umsetzen will. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Diplomaten in Peking sind sich einig, dass der Tag eher früher als später kommen wird. Auch das US-Verteidigungsministerium warnte jüngst, der Druck habe zugenommen.
Eine Eroberung über die 130 Kilometer breite Meerenge der Taiwanstraße wäre allerdings eine ungeheuer komplexe Militäroperation. Sie wäre ungleich schwerer als Russlands Invasion in die Ukraine, wie Experten hervorheben. China müsste wohl hohe Verluste in Kauf nehmen. Massive internationale Sanktionen und eine möglicherweise globale Wirtschaftskrise träfen die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft hart.
Die USA sind für Taiwan der wichtigste Garant der Freiheit. Aber würde die Supermacht die Insel im Falle eines Angriffs aus China auch verteidigen? US-Präsident Joe Biden hat die Frage bereits dreimal mit „Ja“ beantwortet. Er ging damit weiter als seine Vorgänger, die in dem Punkt seit einem halben Jahrhundert eine „strategische Mehrdeutigkeit“ bevorzugten. Eine gewaltsame Einnahme würde die Region destabilisieren und dem ähneln, was in der Ukraine passiert sei, begründete Biden seine Zusage zu militärischer Hilfe.
Bereits bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1979 zu China – als Taiwan im Regen stehen gelassen wurde – verpflichteten sich die USA mit einem eigenen Gesetz, für Taiwans Verteidigung zu sorgen.