Katharina Dröge ist seit Dezember 2021 Co-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Im Interview spricht die 37-Jährige über Waffenlieferungen, die Atom-Debatte – und bayerisches Versagen.
Christian Lindner will die Bürger angesichts steigender Inflation mit Steuersenkungen entlasten. Hat er die Grünen mit seinem Plan überrascht?
Nein, wir hatten erwartet, dass er einen Vorschlag macht. Es ist gut, dass der Finanzminister mit zusätzlichen Milliarden entlasten will. Wir sollten uns dabei aber auf diejenigen konzentrieren, die am wenigsten Geld haben und von der Krise am stärksten betroffen sind. Der Vorschlag von Herrn Lindner kann dazu führen, dass Menschen mit dem Einkommen einer Bundestagsabgeordneten mehr als dreimal so viel Geld bekommen wie eine Altenpflegerin oder ein Krankenpfleger. Das ist nicht die richtige Priorität. Wir sollten Maßnahmen gezielt für untere Einkommensgruppen in den Blick nehmen.
Spricht man in der Regierung über solche Themen nicht, bevor der Finanzminister an die Öffentlichkeit geht?
Es gehört dazu, Vorschläge zu machen. Und es ist normal, dass danach über Vorschläge verhandelt wird. Wir sind drei unterschiedliche Parteien mit drei unterschiedlichen Perspektiven. Das Wichtigste ist doch, dass wir uns am Ende auf Lösungen einigen, die den Menschen wirklich weiterhelfen. Das haben wir bislang immer geschafft.
Waffenlieferungen, steigende Rüstungsausgaben, mehr Strom aus Kohle: Die Grünen tragen viele Entscheidungen mit, die früher nicht zu ihnen gepasst hätten. Sind Sie noch gerne Teil der Regierung?
Ja, das bin ich. Die Regierung ist der beste Ort, um Politik zu gestalten. Kurz vor dem Sommer haben wir beispielsweise das größte Energiepaket zum Ausbau der Erneuerbaren Energien seit Jahrzehnten in den Bundestag eingebracht und beschlossen. Das ist eine extrem wichtige Maßnahme, um auf Dauer eine bezahlbare, sichere Energieversorgung in diesem Land zu gewährleisten und im Kampf gegen die Klimakrise weiterzukommen. Und natürlich erfordert diese Krise von allen, die Verantwortung tragen, auch schwierige Entscheidungen zu treffen und pragmatische Antworten zu finden.
Aber das sind doch nicht mehr die Grünen, die mal aus der Friedensbewegung entstanden sind. Spüren Sie in der Partei Gegenwind, etwa bei Waffenlieferungen an die Ukraine?
Kaum jemand hätte gedacht, dass wir in Europa noch einmal einen so brutalen Angriffskrieg erleben. Mit Blick auf die Waffenlieferungen habe ich eine extrem breite Unterstützung in der Partei wahrgenommen. Niemand beschließt so etwas leichtfertig. Jeder muss sich bei solchen Fragen mit seinem Gewissen auseinandersetzen. Das haben unsere Abgeordneten gemacht, als sie sich zur Unterstützung der Ukraine entschieden haben.
Noch so ein schmerzhaftes Thema für Sie: die Atomkraft. Im Land dreht sich die Stimmung, zumindest was den kurzfristigen Weiterbetrieb der AKW angeht…
Tatsächlich haben vor allem CDU und CSU mit Blick auf die Atomdebatte eine harte Scheindebatte inszeniert, um von eigenem Versagen abzulenken, insbesondere Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Seine Partei hat den Ausbau der Windenergie in Bayern aktiv über Jahre blockiert und damit auch für Bayern als Wirtschaftsstandort ein Desaster angerichtet. CDU und CSU versuchen nun, den Eindruck zu erwecken, dass die Atomenergie uns in einer Gasmangellage helfen könnte. Das stimmt nicht.
Die Debatte nimmt trotzdem ordentlich Fahrt auf. Halten die Grünen das aus?
Wir sehen unsere Aufgabe darin, wieder mehr Fakten in die Debatte zu bringen. Und mit Blick auf die Stromversorgung in Deutschland gilt, dass es bereits einen Stresstest der Netzbetreiber von März bis Mai gab, der die Sicherheit der Stromversorgung für Deutschland geprüft und festgestellt hat. Jetzt wird noch ein zweiter Stresstest durchgeführt, der auch Extrembedingungen prüft. Zur Einordnung ist aber einfach wichtig: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der schwierigen Situation bei der Gasversorgung und der Situation auf dem Strommarkt.
Also ist für Sie definitiv Schluss mit der Atomkraft?
Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Ein Fehler kann fatale Konsequenzen haben. Einen Ausstieg aus dem Atomausstieg wird es mit uns nicht geben. Zudem sprechen die Fakten, die wir kennen, dafür, dass wir die Atomkraftwerke auch Ende des Jahres nicht mehr benötigen.
Interview: Martin Krigar und Andreas Wartala