Scholz fürchtet keine Unruhen

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

Berlin/München – Die letzte Frage ist die nach seiner Vorgängerin. Ob er Angela Merkel vermisse, will eine Journalistin von Olaf Scholz wissen. „Ich telefoniere gerne mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler“, sagt der SPD-Politiker leicht schmunzelnd. Hinter ihm liegen da bereits mehr als 100 Minuten, in denen er sich in der Bundespressekonferenz in Berlin den Fragen von deutschen und ausländischen Reportern gestellt hat. Die dortigen Sommerkonferenzen sind eine Tradition, für Scholz ist es die erste als Kanzler.

Er nutzt sie, um das Bild einer Regierung zu zeichnen, die alles im Griff hat. Scholz spricht von „ernsten Zeiten“, aber auch von „schönem Wetter“ und kündigt weitere Entlastungen für die Bürger im Herbst an – die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeschlagenen Steueranpassungen seien bereits ein erster Teil davon.

Dass es angesichts von Teuerung und Inflation soziale Unruhen geben könne, glaube er nicht, sagt Scholz. „Und zwar deshalb, weil Deutschland ein Sozialstaat ist, der klar sagt, dass er niemanden alleine lassen wird.“ Er sei ganz sicher, dass sich die Deutschen in schweren Zeiten unterhaken würden. „Die Bürgerinnen und Bürger sind schlau“, sagt der Kanzler – und es klingt fast mehr nach einer Anweisung als nach einer Beschreibung.

Scholz drückt sich für seine Verhältnisse deutlich aus. Einen rhetorischen Alleinunterhalter wird aus dem Kanzler niemand mehr machen. Aber es kommt klar durch, was er sagen will. Das war in der Vergangenheit nicht immer zwangsläufig so.

Deutlich ist auch die Kritik an der Energiepolitik der Vorgängerregierung. Wir arbeiten sämtliche Versäumnisse der letzten Jahre ab, die in dieser Hinsicht wirklich groß waren.“ Es habe in der Vergangenheit zwar gemeinsame Entscheidungen über den Ausstieg aus der Kohleverstromung und Atomenergie gegeben, aber keine Entscheidungen, die ein großes Tempo für eine industrielle Modernisierung Deutschlands mit sich gebracht hätten.

Dass er selbst als Finanzminister und Vizekanzler Teil dieser Regierung war, breitet Scholz hingegen nicht groß aus. Dabei hatte auch der heutige Kanzler im vergangenen Jahr noch bestritten, dass Deutschland von russischen Gaslieferungen abhängig sei.

Um nun unabhängiger von russischem Gas zu werden, bringt Scholz ein Projekt aus vergangenen Tagen erneut ins Spiel. „Ich habe mich sehr beschäftigt mit einer leider heute für uns alle dramatisch vermissten Pipeline. Nämlich der Pipeline, die man hätte bauen sollen zwischen Portugal, Spanien, durch Frankreich nach Mitteleuropa“, sagt er. Er werbe nun in der EU dafür, das jetzt anzupacken.

An der gegenseitgen Unterstützung der EU-Partner, wenn es kurzfristig bei Energielieferungen eng werden könnte, zweifelt Scholz nicht. Unter anderem in der Corona-Krise habe sich gezeigt, „dass die Solidarität in der EU besser ist, als sie vor einigen Jahren vorhergesagt wurde“, sagt Scholz. Einer der wenigen Momente, in denen die Pandemie überhaupt zum Thema wird.

Viel Raum nimmt hingegen der russische Angriffskrieg in der Ukraine ein. Scholz macht klar, dass Deutschland die Ukraine weiter unterstützen wolle, kündigt aber keine neuen, konkreten Waffenlieferungen oder andere zusätzliche Schritte an. Auf Nachfragen vermeidet er es, Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich als Kriegsverbrecher einzustufen, auch wenn er dessen Verantwortung für Kriegsverbrechen bejaht. Eine Absage erteilt Scholz auf Nachfrage generellen Visabeschränkungen oder Einreiseverboten für Russinnen und Russen, weil dies auch „ganz Unschuldige“ treffen würde. „Das ist Putins Krieg“, wiederholt der Kanzler einmal mehr.

Auf die kritische Frage eines polnischen Journalisten nach deutscher Zurückhaltung bei Waffenlieferungen entgegnete Scholz, Deutschland sei unter den Ländern, die der Ukraine „die fortschrittlichsten und auch für die gegenwärtige militärische Auseinandersetzung essentiellsten Waffen“ liefere. „Wenn man sich die Liste der deutschen Lieferungen anguckt und auch ihre Qualität, dann wird man sehen, das ist hoch effizient“, hob er hervor.

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