Die Sticheleien der Freien Wähler

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

München – Neulich haben sie sich in der CSU mal wieder kräftig geärgert über Hubert Aiwanger. Ausnahmsweise nicht, weil der Vize-Ministerpräsident der eigenen Regierung in die Parade, sondern weil er nach Pähl gefahren war. Dort, im Landkreis Weilheim-Schongau, hatten Kuhfladen auf der Straße für bundesweite Schlagzeilen gesorgt und Aiwanger, der als Minister für Wirtschaft und Energie eigentlich genug zu tun haben müsste, wilderte auf dem ureigenen Gebiet der CSU. Die Schlagzeilen waren ihm sicher. Und in der CSU fragten sich einige, warum denn die oberbayerische Agrarministerin nicht auf diese Idee gekommen war.

Es ist auffällig, wie sehr sich die Freien Wähler schon im Wahlkampfmodus befinden, obwohl noch nicht einmal der Termin im kommenden Herbst festgelegt ist. Fast täglich gibt es neue Themenfelder, auf denen sich Risse auftun. Interessant ist, dass dabei keineswegs nur Aiwanger auftritt. Die Sticheleien werden auf mehrere Schultern verteilt. Am Freitag beispielsweise ist Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag, an der Reihe. Der nennt die Privatisierung des Bayernwerks unter Ministerpräsident Edmund Stoiber in den 90er-Jahren einen historischen Fehler. „Damit haben wir jeden staatlichen Einfluss auf die Energieversorgung der Menschen in Bayern aus der Hand gegeben und uns vollständig erpressbar gemacht“, sagt Mehring. Die meisten Nachbarstaaten Bayerns verfügten über einen staatlich getragenen Energiekonzern. „Das brauchen wir auch in Bayern, um etwa unsere Gasspeicher eigenverantwortlich füllen zu können und die Versorgung der Menschen in unserer Heimat auch unter schwierigen Umständen zu gewährleisten.“

Mehrings Breitseite gegen die CSU passt in eine Reihe von Konflikten. Erst vor wenigen Tagen hatte Aiwanger im „BR“ erklärt, die CSU habe im Streit um Windräder zu lange „den Wählerwillen gescheut“. Wenn man irgendwo für ein Windrad war, sei man ausgepfiffen worden, so Aiwanger: „Insofern hat man sich dem Willen der Bevölkerung unterworfen, solange es billiges Gas gab.“

Doch Energie ist nicht das einzige Thema. Vor drei Wochen hatte es im Kabinett ordentlich gerumpelt, weil Aiwanger in der Sitzung einen Baustopp für die Stammstrecke forderte. Die Worte „Zuschütten“ und „Notbremse“ fielen. Die CSU widersprach energisch. Der Aufstand fiel relativ rasch in sich zusammen. Das Projekt hat eine solche Dimension, dass ein klares Nein der Freien Wähler die Koalition ernsthaft infrage stellen würde.

Hinter dem Streit verbirgt sich auch eine strategische Frage: Die Freien Wähler wissen, dass sie in den Großstädten wenig zu gewinnen haben. Sie schielen auf die ländlichen Wähler, beispielsweise in Niederbayern. Und dort fragt man bereits kritisch, was denn angesichts der Kostenexplosion in der Landeshauptstadt für die eigene Region noch drin sei.

Im Herbst und Winter droht ein weiterer Streitpunkt, wenn auch kein neuer. Corona hat die Koalition schon immer belastet. Söder war der Mann fürs Schließen, Aiwanger der fürs Öffnen. Am Ende setzte sich Söder meistens durch. Doch gilt das auch Ende 2022? In dieser Woche ließ FW-Generalsekretärin Susann Enders aufhorchen. Als Krankenschwester durchaus vom Fach erteilte sie allen weiteren Maßnahmen eine Absage. „Wir brauchen kein weiteres Infektionsschutzgesetz, solange Corona in Krankenhäusern keine schwerwiegenderen Auswirkungen hat als eine saisonale Grippe.“ Der zuständige CSU-Minister Klaus Holetschek keilte zurück: „Völliger Unfug“.

Die Opposition beobachtet das Spektakel interessiert. „Nachdem die FW jetzt die ganze Zeit der Bettvorleger der CSU waren, entdecken sie ein gutes Jahr vor der Landtagswahl ihr bisschen Mut wieder – und sogar den Sozialismus“, witzelt SPD-Chef Florian von Brunn, der Energie-Infrastruktur in öffentlicher Hand natürlich prima fände. „Aber bei Corona lassen wir uns sicher nicht auf Aiwangers Querdenkertum light ein. Das ist nicht nur unseriös, sondern auch gefährlich.“ Ein Oppositionsbündnis mit SPD, Grünen und FDP hat Aiwanger übrigens schon ausgeschlossen. Er will lieber mit der CSU regieren. Man merkt es nur nicht immer.

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