Cheltenham – Als Boris Johnson eingeblendet wird, bricht Jubel aus. Die Mitglieder der Tory-Partei, die sich im englischen Cheltenham ein Bild von den Kandidaten für die Nachfolge des scheidenden „Partygate“-Premiers machen, dürfen erst mal in Erinnerungen schwelgen. Ein auf Leinwänden übertragenes Video fasst die Höhepunkte der letzten Jahre zusammen, zumindest aus Sicht der Konservativen. Trotz vieler Skandale flammt die Boris-Begeisterung leicht wieder auf.
Zurück im Hier und Jetzt haben die 160 000 Mitglieder der konservativen Partei derzeit die Wahl: Von wem wollen sie in Zeiten von Krieg, Energienot und Dürre regiert werden? Von Liz Truss (47), die trotz allem Steuergeschenke verspricht und sich als Margaret Thatcher des 21. Jahrhunderts inszeniert? Oder von Rishi Sunak (42), vormals Finanzminister und nun selbsterklärter Mann der unbequemen Wahrheiten, der erst die Inflation unter Kontrolle bringen will?
Viele haben ihre Entscheidung gefällt. Die Sitzreihen in Cheltenham sind gespickt mit „Liz for Leader“-T-Shirts oder „Ready for Rishi“-Plakaten. Fragt man die Unentschiedenen, geht die Tendenz oft Richtung Truss, die in Umfragen seit Wochen weit vorn liegt. Doch „Team Rishi“ will sich nicht geschlagen geben. Bis Anfang September ist noch Zeit abzustimmen. Der Arzt William Prothro hat sich für Sunak entschieden: „Er ist der Erwachsene von beiden. Er tut nicht so, als wäre Weihnachten und es sei Zeit, Geschenke zu vergeben.“
Die südwestenglische Grafschaft Gloucestershire, in der auch Cheltenham liegt, gehört zu den wohlhabenden Gegenden Englands. Trotzdem sind es die steigenden Kosten für Energie und Lebensmittel, die hier viele umtreibt; außerdem die starke Unterstützung für die Ukraine, von der viele wollen, dass sie anhält.
Dass es außerhalb der klimatisierten Halle am Rande einer Pferderennbahn in Cheltenham viel heißer ist als jahrzehntelang üblich und für große Teile Englands eine Dürre ausgerufen wurde, ist drinnen kaum Thema. Truss macht stattdessen Klimawandel, Wasserversorger und defekte Leitungen dafür verantwortlich, dass viele Landsleute nicht mehr ihre Rosen wässern dürfen. Den Anblick von „Getreidefeldern, auf denen Solarparks stehen“, findet sie „traurig“ und verspricht, die Regeln schnellstmöglich zu ändern. Und: Da sei ja auch noch viel Gas in der Nordsee, das man „ausnutzen“ müsse.
Truss und Sunak sprechen in diesen Wochen zu einem Publikum, das meist älter, weiß und männlich ist. Es zählt, was bei ihnen punktet. Truss wehrt sich gegen „Untergangspropheten“ und versichert bei jeder Gelegenheit, Großbritanniens beste Tage lägen noch vor dem Land. Die Mitglieder der Tories machen nicht mal ein halbes Prozent der Wahlberechtigten im Königreich aus. Fühlt man sich mächtig, dazu zu gehören? Nein, nein, bei der Labour-Partei würde der Prozess ja genauso ablaufen, meinen viele. Die Partei wähle ihre Führung und der Sieger werde eben auch Premier.
Der Klimaaktivist Rick muss draußen bleiben. „Es fühlt sich nicht sehr demokratisch an“, sagt er am Straßenrand, wo er und andere die Tories mit lautem Protest empfangen. Sie fordern, den Kampf gegen die Klimakrise mit voranzutreiben. „Hungrig? Esst doch Steuersenkungen“ steht auf einem der Plakate. Dringt das nach drinnen? „Man muss es zumindest versuchen“, meint Rick.