„Im System Kirche fehlt es an Vertrauen“

von Redaktion

Sexueller Missbrauch: Aufarbeitungskommission im Bistum Trier legt Zwischenbericht vor

Trier/München – Kardinal Reinhard Marx dürfte aufatmen: Der erste Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier enthält keine anklagenden Passagen gegen ihn. Marx, der von 2002 bis 2008 Bischof von Trier war, hatte in der Vergangenheit mehrfach eingeräumt, dass er sich falsch verhalten habe – und er sein Verhalten sehr bedauert.

Trotzdem wird mit Spannung erwartet, ob die Trierer Kommission zusätzliche Fälle ans Licht bringt. Der gestern präsentierte erste Zwischenbericht befasst sich exemplarisch mit zwei Fällen von Missbrauchspriestern, die sich lange vor der Amtszeit von Marx ereignet haben: der Fall eines Pfarrers aus den 50-er-Jahren, der mit Wissen der Bistumsleitung vor der Staatsanwaltschaft erst nach Österreich und dann mit Hilfe des damaligen Adveniat-Geschäftsführers Emil Stehle in Paraguay untertauchen konnte. Der zweite Fall schildert detailliert die haarsträubende Geschichte eines ungarischen Flüchtlingspriesters, der trotz einschlägiger Vorstrafe in Österreich im Bistum Trier in der Seelsorge eingesetzt wurde und zwischen 1963 und 1972 mindestens 20 weitere Kinder sexuell missbraucht hat. Die Fälle illustrieren laut Kommission, „dass das Schicksal der Opfer sexuellen Missbrauchs für die Verantwortlichen keine Beachtung erfuhr“.

Auch wenn der Münchner Kardinal im Zwischenbericht keine Rolle spielt, lassen sich aus den generellen Ausführungen der Kommission wichtige Schlüsse für den Umgang mit Missbrauchsbetroffenen im Münchner Erzbistum ziehen. So wird deutlich beschrieben, dass Betroffene wie auch Mitarbeiter der Kirche sich nach wie vor „vor Reaktionen der Bistumsleitung ängstigen und deshalb gar nicht oder nur strengst anonymisiert mit der Kommission sprechen wollen“. Das veranlasst die Kommission zu der Vermutung, „dass es im System der Kirche jedenfalls bisweilen an wünschenswertem Vertrauen mangelt. Dies behindert auch Aufklärung und Aufarbeitung.“

Direkt angesprochen fühlen dürfte sich Kardinal Marx bei Passagen über den Umgang mit den Opfern. Ausdrücklich heißt es, Betroffene erwarteten, dass sie ihr Leid „unmittelbar mit dem Ortsbischof“ besprechen können. Das Angebot anderer Gesprächspartner werde als „Mangel an notwendiger Wertschätzung“ empfunden. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der 2009 Nachfolger von Reinhard Marx wurde, führe inzwischen mit allen neu gemeldeten Betroffenen individuelle Gespräche. Sowohl der Betroffenenbeirat als auch die Aufarbeitungskommission in München kritisieren, dass Kardinal Marx nicht „proaktiv“ auf die Betroffenen zugehe.

Thematisiert wird im Zwischenbericht auch, dass es Betroffene und Teile der Öffentlichkeit problematisch finden, dass der Bischof die Mitglieder der Kommission berufen hat. Sie bezweifelten daher deren Unabhängigkeit. Daher wird vorgeschlagen die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung in die Berufung der Kommission einzubeziehen. Für die Zeit zwischen 1946 und 2021 wurden im Bistum Trier 195 Missbrauchstäter überführt. 513 Betroffene konnten erfasst werden.

Für die Zukunft plant die Kommission die Befragung aktueller und ehemaliger Leitungspersonen des Bistums. Dann könnte es für Kardinal Marx ungemütlicher werden. CLAUDIA MÖLLERS

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