München – Die Energiekrise macht sich jetzt auch in den Beinen bemerkbar. Wer durch die Einkaufszentren streift, dem kann es passieren, dass die Rolltreppen stillstehen. Die Häuser müssen sparen, sie tun es beim Komfort. Und die Liste wird länger: Ladenbeleuchtung, Außenwerbung, Laternen. Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur, kündigt zudem Einschränkungen bei Saunen und Wellness allgemein an.
Dass beim Gas gespart werden muss, wird dem Land bereits seit Monaten eingebläut. Erst allmählich setzt sich aber auch die Erkenntnis durch, dass die Lage beim Strom nicht weniger dramatisch ist. Die Leipziger Energiebörse EEX meldete zuletzt Allzeithochwerte. Vergangene Woche lag der Preis im Vergleich zum Vorjahr um 1095 Prozent höher. Der „Spiegel“ errechnete für einen Vier-Personen-Haushalt mit einem durchschnittlichen Jahresbedarf von 4000 Kilowattstunden rund 5000 Euro Kosten.
Obwohl nur rund 15 Prozent der deutschen Stromerzeugung aus Gaskraftwerken stammt, hat diese Energiequelle massiven Einfluss auf die Preise. Grund ist das Merit-Order-Modell, nach dem die Preise bestimmt werden. Es bezeichnet die Einsatzreihenfolge der an der Strombörse anbietenden Kraftwerke. Solche, die billig produzieren, werden zuerst herangezogen, zum Beispiel Windkraftanlagen. Am Ende richtet sich der Preis aber nach dem zuletzt geschalteten und somit teuersten Kraftwerk – die auf Gas zurückgreifen.
An diesem Mechanismus will die Politik nun ansetzen. Nach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädiert auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) dafür, die Entwicklung der Endkundenpreise für Strom vom steigenden Gaspreis zu entkoppeln. Mit „größter Dringlichkeit“ müsse sich die Politik der Preisstruktur widmen. Sonst werde die Inflation immer stärker durch eine Stromkrise angetrieben.
Konkret kritisiert Lindner die stark gestiegenen Gewinne der Betreiber von Windrädern, Solaranlagen und Kohlekraftwerken. „Am Strommarkt hat die Politik einen Profit-Autopiloten eingerichtet“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Auf Grund der geltenden Regeln würden Produzenten von Solar-, Wind- oder Kohlestrom automatisch so bezahlt, als hätten sie teures Gas gekauft: „Die Gewinne steigen zulasten der Verbraucher Milliarde um Milliarde.“
Das Wirtschaftsministerium hatte zuletzt erklärt, es wolle mit einer Strommarkt-Reform erreichen, dass Kunden auf Ihrer Rechnung stärker von den erneuerbaren Energien profitieren. Dafür sollen die entstehenden Übergewinneffekte der günstigen Anbieter an Endkunden weitergegeben werden.
In eine ganz andere Richtung denkt der frühere Verkehrsminister Andreas Scheuer: Er schlägt den Bau neuer Atomkraftwerke vor. „Meine Formel lautet drei plus drei plus drei: Drei Kernkraftwerke müssen länger laufen, drei müssen reaktiviert werden und drei müssen neu gebaut werden“, sagte der CSU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Der Widerspruch kam prompt. Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang spottete bei Twitter, Scheuers Vorschlag wäre „zumindest ein bisschen weniger scheinheilig, wenn die CSU nicht gleichzeitig ein Endlager in Bayern für den bereits erzeugten Atommüll kategorisch ablehnen würde“.
Wie es mit den drei noch laufenden Reaktoren weitergeht, will die Bundesregierung auf der Basis eins noch laufenden Stresstests entscheiden, der die Versorgungssicherheit im Land überprüft. In den nächsten Tagen soll das Ergebnis vorliegen. In der Union wächst die Ungeduld. Fraktionsvize Jens Spahn warf der Koalition zuletzt eine „Hinhaltetaktik“ vor: „Die Ampel verschleppt die Entscheidung aus ideologischen Gründen, bis es zu spät ist.“ mit dpa