Als sei noch nicht alles gesagt, hat jetzt auch Annalena Baerbock Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin in Schutz benommen gegen Kritik an ihren Partyvideos. Auch Politiker hätten ein Recht auf Privatleben, sie selbst verbringe ihre Freizeit auch nicht nur mit Kartenspielen. Man sollte meinen, solche Hinweise seien längst nicht mehr nötig, aber der Fall Marin lehrt das Gegenteil.
Kein Mann auf dieser Führungsebene würde sich die Blöße geben, sein Partyverhalten zu verteidigen, schon gar nicht unter Tränen. Boris Johnson stürzte nur deshalb über seine Eskapaden, weil er Regeln brach. Marin hingegen hat nichts Verbotenes getan, und doch steht sie am Pranger. Freizeit zu haben, sich zu amüsieren, trotz hoher Verantwortung – dafür müssen nur Frauen sich noch immer rechtfertigen.
Marin mag nicht unschuldig daran sein, dass die Feier-Bilder ihr um die Ohren gehauen werden, in besseren Tagen hat sie gerne mit ihrem Image als coole Regierungschefin gespielt. Die jüngste Veröffentlichung geht aber nicht auf sie zurück. Marin ist Opfer, nicht treibende Kraft. Und es fällt auf, dass die Veröffentlichung scheibchenweise erfolgte. Die Videos sind nicht nur ein banaler Aufreger fürs Sommerloch, sondern eine gezielte Attacke in einer Zeit, da das Land den Beitritt zur Nato anstrebt. Es mag auch in Finnlands Innenpolitik Nutznießer der Debatte geben. Der größte aber sitzt im Kreml.
Marc.Beyer@ovb.net