Berlin – Die erste Aufmerksamkeit kam mit einem Hungerstreik für eine radikale Klimawende. Sieben Aktivisten in Berlin hungerten sich bis ins Krankenhaus, sie erzwangen ein Gespräch mit Olaf Scholz, das aber ergebnislos verlief. Vor einem Jahr war das, die erste Aktion der „Letzten Generation“. Seither organisierten die Aktivisten Straßenblockaden, drehten Ventile an Ölpipelines zu, klebten sich an Kunstwerke in Museen, ketteten sich an ein Bundesliga-Fußballtor. Alles, um gegen die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zu protestieren. Radikalisiert sich der Protest nun weiter?
Henning Jeschke (22), Politikstudent, ist einer der Initiatoren. Wichtig sei, so sagt er, „dass man nicht stillschweigend dasteht, während das Massensterben sich global schon Bahn bereitet und während unsere Gesellschaft in die Vernichtung ihrer Grundlagen schlittert“. Er spricht von „zivilem Ungehorsam“ und zitiert einen britischen ehemaligen Regierungsberater, wonach das Handeln in den nächsten drei bis vier Jahren über das Schicksal der Menschheit entscheiden werde. Die Bundesregierung leugne den Klimanotstand, sie tue nichts, breche damit Grundrechte: „Einige Sachen sind schwarz-weiß. Tod und Leben ist eine Schwarz-Weiß-Frage.“
300 Mitstreiter sollen es inzwischen sein. Dutzende Male klebten sich in Berlin und anderen Städten, sogar München, Menschen auf Fahrbahnen. Die Aktivisten halten sich für „gewaltfrei“ und betonen, sie würden niemals Menschen in Gefahr bringen. Grünen Terrorismus weisen sie weit von sich. Doch mit Autofahrern im Stau gab es teils rüde Auseinandersetzungen. Mehrfach steckten auch Krankenwagen fest.
Die Aktivisten landen regelmäßig in Arrestzellen, unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Müssen Polizisten die festgeklebten Hände von der Fahrbahn lösen, werden Gebühren fällig, jeweils 241 Euro. Bis Mitte August hatte allein in Berlin das Amtsgericht Tiergarten in 66 Fällen Strafen ausgesprochen – meist mehrere Hundert Euro Geldstrafe. Da in 24 Fällen Einspruch erhoben wurde, kommt es ab dieser Woche zu mündlichen Verhandlungen.
Der Massenbewegung Fridays for Future ging während der Pandemie und des Ukraine-Kriegs irgendwie die Luft aus. Doch kleine, radikalere Initiativen wie die „Letzte Generation“ gibt es inzwischen in etlichen Ländern. Sie schauen voneinander ab – auch die „L’Ultima Generazione“ in Italien und „Just Stop Oil“ in Großbritannien haben sich an Kunstwerke geklebt. Es gab öffentlichkeitswirksame Aktionen bei der Tour de France und der Frauen-Fußball-EM. Und es gibt Förderer wie den Climate Emergency Fund in Beverly Hills. Dieser tätige „strategische Investitionen in neue Organisationen wie die „Letzte Generation“, die das tägliche Leben stören wollen, um massiven Druck auf Regierungen aufzubauen“, erklärt Stiftungschefin Margaret Klein Salamon per Email auf Anfrage. Man sei stolz, das Netzwerk zu finanzieren, zu dem die „Letzte Generation“ gehört. Wie viel Geld die deutsche Gruppe bekam, sagt Klein Salamon nicht. Insgesamt seien vergangenes Jahr fast drei Millionen Dollar an 33 Organisationen geflossen.
Aufhören zu stören und zu alarmieren wird die „Letzte Generation“ also nicht, im Gegenteil. Die nächste Welle von Blockaden sei in Vorbereitung, berichten die Aktivisten. Die anstehenden Gerichtsprozesse in Berlin wollen sie als Bühne nutzen. VERENA SCHMITT-ROSCHMANN