VON GEORG ANASTASIADIS
Die Geschichte liebt die ironischen Fügungen. Für Michail Gorbatschow hat sie sich eine ganz besondere Pointe ausgedacht: Der letzte Chef der Sowjetunion und Architekt der Zeitenwende 1989 schließt just im Jahr der Zeitenwende 2022 für immer die Augen. Gerade so, als habe der große Mahner gegen den Totalitarismus die Zerstörung seines Lebenswerks durch seinen Nach-Nachfolger nicht mehr länger mit ansehen wollen.
Niemand auf der Welt, auch nicht in der russischen Heimat, trauert mehr als die Deutschen. Sie behalten ihren „Gorbi“ zu Recht als großen und großzügigen Freund in Erinnerung, der ihnen die 45 Jahre zuvor verlorene Einheit des Vaterlands zurückgab. Doch auch in diese Erinnerung mischt sich ein bitterer Beigeschmack: Gerade die bedingungslose Liebe zu Gorbatschow begründete in Deutschland ein allzu romantisches Russland-Bild, das viele Bundesbürger und auch große Teile der Politik blind machte für das, was nach Gorbatschow und Jelzin in Moskau geschah und schließlich in die Katastrophe des Ukrainekriegs mündete. Viele Deutsche klammern sich bis heute an die Hoffnung auf eine Sonderverständigung mit einem Regime, das der Welt 31 Jahre nach Gorbatschows Abtritt als Regierungschef ganz ungeniert seine mörderische Fratze zeigt. Das gilt ganz besonders für die Landesteile östlich der alten innerdeutschen Grenze, wo Putinismus, Illiberalismus und Führerkult gerade in rechten Kreisen eine gefährliche Faszination entfalten.
Gorbatschow, so viel wissen wir aus seinen wenigen Anmerkungen zu Putins Politik, würde das nicht gefallen. Auch wenn er die westliche Siegermentalität missbilligte, stand er für ganz andere Werte als die heutige Kreml-Führung, für Freiheit, demokratische Teilhabe und Verständigung der Völker. Er bleibt ein leuchtendes Vorbild – und ein Versprechen auf eine bessere Zukunft, in der ein anderes Russland wieder seinen Platz als geachtetes Mitglied im Kreis der Völkerfamilie einnimmt.
Georg.Anastasiadis@ovb.net