VON GEORG ANASTASIADIS
Wäre die Lage nicht so bedrückend, könnte man darüber lachen: Gar nicht genug konnte sich die Nation über den „Tankrabatt“ ereifern – zu wenig zielgenau, schlecht fürs Klima, eine Einladung an die Ölmultis zum Abkassieren, so lautete die Kritik. Jetzt ist er weg, aber wieder hebt ein Sturm der Entrüstung an, diesmal an den Zapfsäulen. Dasselbe Schauspiel beim 9-Euro-Ticket. Der Erregung über die vollen Züge folgt auf dem Fuß der Katzenjammer über den wieder teuren Nahverkehr und die Rückkehr in den Tarifdschungel.
Eine deutsche Marotte, sich immer erst mal mit Hurra auf die Suche nach dem Haar in der Suppe zu stürzen? Auch das. Beschweren muss sich die Ampelkoalition, die den ganzen Ärger abbekam, aber nicht nur bei den Medien, sondern auch bei sich selbst. Wenn die Grünen den Tankrabatt mies machen und die Liberalen das 9-Euro-Ticket verdammen („Gratismentalität“), dürfen sich die Koalitionäre nicht wundern über den schlechten Ruf ihrer Politik. Gutes Marketing geht anders.
Hoffentlich ziehen alle Beteiligten ihre Schlüsse daraus, wenn sie ihr drittes Entlastungspaket für die gebeutelten Bürger schnüren. FDP-Chef Christian Lindner will mit dem Abbau der kalten Steuerprogression die „arbeitende Mitte“ entlasten, SPD und Grüne mit Direktzahlungen Gering- und Normalverdiener. Wenn die Ampel diesmal Rentner und Studenten nicht wieder vergisst, könnte das Ergebnis ein stimmiges Gesamtpaket werden. Klar kann man auch das wieder als „Entlastung mit der Gießkanne“ geißeln. Aber wenn die zänkischen Ampelkoalitionäre klug sind, überlassen sie das Mäkeln diesmal denen, die dafür hauptberuflich zuständig sind. Linkspartei und AfD können es kaum mehr abwarten, den kalten Herbst in einen heißen zu verwandeln. Und im Kreml reiben sie sich schon die Hände.
Georg.Anastasiadis@ovb.net