Trauerakt statt Moskau-Reise

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Die Frage nach seiner letzten Ruhestätte hat Michail Gorbatschow weit vor seinem Tod beantwortet. Die Beerdigung solle auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof erfolgen, an der Seite seiner Ehefrau Raissa, beschloss der frühere Präsident der UdSSR. Der Ort ist also schon lange geklärt, der Termin (Samstag) auch. Die Umstände, unter denen das geschehen soll, sind dafür umso komplizierter, innen- wie außenpolitisch.

Normalerweise würden Staatschefs aus aller Welt vor Ort Abschied nehmen von dem Mann, der bei der Deutschen Einheit und der Beendigung des Kalten Krieges eine Schlüsselrolle spielte. Noch bei Boris Jelzins Begräbnis 2007 war das so, aus den USA kamen die Ex-Präsidenten George Bush und Bill Clinton, aus Deutschland Bundespräsident Horst Köhler. In Kriegszeiten aber ist es schwer vorstellbar, dass hohe westliche Politiker nach Moskau reisen. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss eine Teilnahme im Prinzip aus. „Es gibt keine Einladung zu dem Begräbnis, insofern stellt sich die Frage gar nicht“, sagte er am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in Essen.

Die Aussicht, am Grab Gorbatschows den Kriegstreiber Wladimir Putin zu treffen und der russischen Staatspropaganda womöglich Stoff zu liefern, sprach zu diesem Zeitpunkt gegen eine Reise. Erst gestern teilte der Kreml mit, der Präsident werde gar nicht an der Beerdigung teilnehmen. Sein voller Terminkalender erlaube es nicht.

Es gibt im politischen Berlin kaum Stimmen, die eine Moskau-Reise des Kanzlers begrüßen würden. Nur CDU-Friedrich Merz empfahl bei Bild-TV „den Staats- und Regierungschefs auf der europäischen Seite, eine Einladung anzunehmen, wenn sie denn ausgesprochen wird“.

Die Einschränkung ist berechtigt. Aktuell ist hochrangigen Vertretern von EU-Staaten ein Flug überhaupt nicht möglich. Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen wurden sie von russischer Seite mit Einreiseverboten belegt, zudem ist Russlands Luftraum für „unfreundliche EU-Staaten“ gesperrt. Es ist schwer vorstellbar, dass der Kreml eine Ausnahme ausgerechnet für das Begräbnis eines Politikers macht, der im Ausland mehr Ansehen genoss als im eigenen Land.

Naheliegender ist angesichts des speziellen Verhältnisses der Deutschen zu Gorbatschow der Gedanke, den Verstorbenen mit einer Feier im eigenen Land zu würdigen. „Es sollte einen deutschen Trauerakt für Michail Gorbatschow geben“, regt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gegenüber unserer Zeitung an. Man habe „ihm viel zu verdanken, er ist einer der Väter der Wiedervereinigung und hat Millionen Menschen ihre Freiheit geschenkt“. Gerade heute sei Gorbatschow mit seinem Einsatz für Frieden und Freiheit ein Vorbild.

Parteiübergreifend hat diese Idee prominente Anhänger. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) würde ebenso einen Gedenkakt im Bundestag begrüßen wie Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Vorerst soll es am kommenden Mittwoch eine Gedenkminute geben, wie die Bundestagsverwaltung mitteilte. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas werde zudem vor Beginn der Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2023 das Lebenswerk des Verstorbenen würdigen. In der Hauptstadt wurde Trauerbeflaggung für den Berliner Ehrenbürger Gorbatschow angeordnet.

All diese Ideen stehen in scharfem Kontrast zur allenfalls pflichtschuldigen Würdigung Gorbatschows durch die russische Führung. Die Beerdigung werde „Elemente eines Staatsbegräbnisses“ enthalten, kündigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow an, zum Beispiel eine Ehrenwache. Putin nahm bereits gestern im Moskauer Zentralkrankenhaus Abschied und legte Blumen am Sarg Gorbatschows ab. Am Samstag sei der Präsident verhindert, sagte Peskow. Er befinde sich dann auf Dienstreise in Kaliningrad.

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