Taipeh – Die Spannungen zwischen China und den USA verschärfen sich weiter: Erst jüngst haben zwei amerikanische Kriegsschiffe die Taiwanstraße befahren, und nun will die Regierung von US-Präsident Joe Biden Taipeh modernste Waffen schicken. Laut der Zeitung „Politico“ wollen die USA Taiwan mit Schiffsabwehr-Raketen und Luft-Luft-Raketen im Wert von rund 1,1 Milliarden Dollar unterstützen. Peking fasst das als Provokation auf. Das Machtspiel der beiden Großmächte löst weltweit Nervosität aus – denn eine Eskalation des Streits könnte für die gesamte Weltwirtschaft enorme Konsequenzen haben.
„Zwar hat Taiwan absolut nur rund 21 Prozent der weltweiten Chipfertigungskapazität“, erklärt Peter Fintl, Chipexperte bei der Technologieberatung Capgemini Engineering. „Jedoch werden fast 90 Prozent der modernsten High-End-Halbleiter, wie sie etwa in Mikroprozessoren eingesetzt werden, auf der Insel produziert.“ Mikrochips sind die zentralen Bausteine aller digitalen Geräte – ohne sie funktioniert keine Kaffeemaschine, kein Smartphone, kein Auto. Halbleiter sind die technische Basis von Mikrochips. „Unsere moderne Welt wäre ohne Halbleiter nicht denkbar“, sagt Fintl. Sollte die Produktion in Taiwan stoppen, würde das auch Deutschland in eine schwere Krise stürzen.
Die Halbleiterfertigung war viele Jahre eine Domäne der USA, erklärt der Experte. „Aber Taiwan hat als damals arme Insel in den frühen 70ern erkannt: Wir wollen führend in diesem Zukunftsgebiet werden.“ Mittlerweile gehört etwa der taiwanische Chip-Riese TSMC zu den wichtigsten Firmen der Welt. „Das Unternehmen hat sich an die technologische Weltspitze vorgearbeitet: Durch eine extrem konsequente Forschungspolitik hat es TSMC geschafft, heute die derzeit modernsten und kleinsten Chips herstellen zu können.“ Es gebe derzeit nur drei Länder, die die Produktion dieser High-End-Halbleiter beherrschen: Südkorea, USA und Taiwan. Die modernen Mikrochips werden in erster Linie in Unterhaltungselektronik verbaut, in Smartphones, Computern, Konsolen und Entertainment-Systemen in Autos. „Manche Autos sind so konzipiert, dass sie ohne diese Systeme gar nicht funktionsfähig sind“, sagt Fintl. Auch Rechenzentren würden ohne die komplexen Bausteine stillstehen.
Unklar ist, welche Pläne China im Falle einer Invasion mit der Halbleiter-Hochburg hätte. „Es wird aktuell viel darüber diskutiert, ob China durch eine Übernahme Taiwans Zugriff auf Taiwans wichtige Mikrochip-Industrie erlangen könnte“, sagt Julia Hess, Expertin für Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. „Aber so einfach funktioniert das nicht: Die Wertschöpfungskette der Mikrochips ist extrem kleinteilig. China hätte nur mit TSMC nicht die Möglichkeit, lokal zu produzieren – denn auch Taiwan ist angewiesen auf diverse Chemikalien und Equipment aus Europa, Japan und den USA.“ Unklar wäre auch, wie die Mitarbeiter von TSMC im Falle einer Invasion reagieren würden, meint Hess. „Ihre Expertise ist notwendig für die Produktion der Mikrochips.“
Hess sieht nicht die Chance, dass sich Europa über kurz oder lang unabhängig von Taiwan machen könnte. „Das ist nicht vergleichbar mit russischem Gas oder ukrainischem Getreide“, sagt sie. „Wir sprechen hier nicht über einen Rohstoff, sondern ein hochspezialisiertes Produkt mit einer sehr hohen Arbeitsteiligkeit, die sich über die ganze Welt verteilt.“ Taiwans Fertigungskapazitäten seien zudem fünfmal so hoch wie in Europa, doppelt so hoch wie in den USA: „Das kann man nicht mal eben so ausgleichen.“ KATHRIN BRAUN